Don Juan de la Mancha
Studentenzeitung über verbotene Bücher in der Uni-Bibliothek. Ich hatte Wochen zuvor durch Zufall festgestellt, dass Literatur, die von den Nazis verboten worden war, noch immer nicht entlehnt werden durfte, bloß weil nach 1945 vergessen wurde, dieses Verbot wieder aufzuheben. Wie oft hatte ich mir seither vorgenommen, darüber zu schreiben und diesen Skandal publik zu machen, wie oft hatte ich im Kaffeehaus oder im Arbeitskreis angekündigt, dass ich diesen Artikel schreiben werde. Und an diesem Tag schrieb ich ihn. Dann ging ich einkaufen. Ich wollte für Martina Spaghetti kochen. Ich kaufte alle Zutaten und Blutorangen. Warum Blutorangen? Ich konnte nicht anders. Es war die Blut –, die Orangen-Saison. Wieder zu Hause, legte ich Beethoven auf, die Neunte. Es war kurz nach vier.
Da läutete es. Martina kommt früh, dachte ich. Vor der Tür stand Anne. Ich war verblüfft. Verunsichert. Wie oft hatte ich mir gewünscht, dass sie irgendwann einfach so, ohne von mir bedrängt zu werden, zu mir kommt. Jetzt war sie da. Und gleich würde Martina kommen.
Bist du allein? Ja? Ich muss mit dir reden. Es ist sehr wichtig. Hast du einen Schluck Wein für mich?
Sie ging an mir vorbei in das Zimmer, blickte sich um, als hätte sie so ein Wohnloch noch nie gesehen. Als wäre sie noch nie da gewesen. Die Ode an die Freude. Ich hatte Wein. Für das Abendessen mit Martina. Jetzt erst fiel mir auf, dass ich noch immer keine Weingläser hatte. Ich hätte Wassergläser nehmen können, ich weiß nicht, warum ich die Kaffeehäferln nahm. Ich schenkte ein, ganz wenig. Ich hatte nur diese eine Flasche gekauft und – nein, ich schämte mich meiner Kleinlichkeit und schenkte großzügig nach.
»Ich« und »Du«. Ich war »Ich« – und sah auf die Uhr.
Ich halte dich nicht lange auf, sagte Anne. Auf dem Herd köchelte das Sugo. Riecht gut, sagte Anne. Ich wusste gar nicht, dass du kochen kannst. Das verbessert ja die Aussichten. Kannst du die Musik etwas leiser machen? Danke. Also. Folgendes.
Ihr Vater habe sie unter Druck gesetzt. Er akzeptiere nicht, dass sie in die Schauspielschule gehe. Er sei nicht mehr bereit, ihr Leben zu finanzieren. Wenn sie allerdings vernünftig werde, dann würde er sich noch viel mehr als bisher großzügig zeigen. Dieses Leben als Schauspielelevin führe zu nichts. Jetzt sei es lustig, auf seine Kosten. Aber er wolle, wenn er schon die Kosten habe, sichergehen, dass sie später, wenn diese Kindereien vorbei seien, nicht mit leeren Händen dastehe. Alt und krank. Ohne Medizin. Studium. Also Schluss mit der Schauspielerei. Was sei es denn schon? Saufen mit anderen Schauspielschülern, ab und zu eine Statistenrolle. Die Pferde sind gesattelt. Oder: Still, das Fräulein kommt! Wie lange wird dir das Spaß machen. Und den halben Tag zu schlafen. Und in ein paar Jahren? Was ist dann? Habe er gesagt. Nein, nein, Schluss damit. Nachweislicher Fortschritt beim Studium. Ein normales Leben. Sie werde ihm eines Tages dankbar sein. Nicht erst eines Tages, sondern gleich. Denn.
Ich sah an Anne vorbei zur Küchenuhr. Kurz nach halb fünf.
Eine Heirat würde ihr guttun, so Annes Vater, mit einem normalen, intelligenten Mann, das würde ihrem Leben Form und Halt geben. Er wisse, wovon er spreche. Sie habe den falschen Umgang. Lauter Irre und Wilde. Hysteriker. Im Grunde Patienten. Man saufe und schlafe nicht mit Patienten. Man lebe von ihnen, nicht mit ihnen. Er wisse, wovon er rede. Also Schluss. Dankbar.
Jetzt kommt’s, sagte Anne. Weißt du, was er dann gesagt hat? Wer dieser nette Student gewesen sei, der mich einmal abgeholt habe? Er meinte dich. So intelligent hast du gewirkt. Und so höflich warst du. Was mit dir sei, hat er gefragt, ob wir uns getrennt hätten? Nein, habe ich gesagt. Stimmt doch. Wir haben uns ja nie getrennt. Wir waren ja nie –
Ja, sagte ich. Nie.
Kurz und gut. Wenn wir heiraten, dann kauft uns mein Vater eine Eigentumswohnung und gibt uns eine Million Schilling Starthilfe. Beste Voraussetzung für Studiumabschluss, Spitalsjahr, Facharztausbildung, also alles ganz klassisch. Wenn ich mir aber weiter die Schauspielerei einbilde, dann zahlt er nichts mehr, nicht einen einzigen Schilling. Dann kann ich als Kellnerin oder sonstwie jobben, bis ich krumm und bucklig bin. Das waren seine Worte, krumm und bucklig. Was sagst du? Was ist besser, eine Million oder gar nichts? Willst du mich heiraten?
Ich sah an ihr vorbei. Viertel vor fünf.
Hör zu, sagte ich, du musst jetzt – ich wollte
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