Don Juan de la Mancha
rasend. Helga hatte doch gesagt, dass sie Jungfrau sei. Es hatte sich auch entsprechend vernagelt angefühlt. Wieso kein Blut? Ich suchte das ganze Bett ab. Nichts. Was hast du?, fragte Helga. Komm, drück dich an mich.
Ich fand die Naivität, mit der sie Zärtlichkeit forderte und dabei wegdösen wollte, skandalös. In einer Kultur, in der der Mann nun das blutbefleckte Laken vorweisen müsste, wäre ich jetzt verloren gewesen. Das interessierte Helga überhaupt nicht.
Am nächsten Tag in der Früh standen plötzlich meine Mutter und meine Großmutter neben meinem Bett. »Die Putzbrigade ist da!«, sagte Oma fröhlich. »Ich wette«, sagte Mutter, während sie und Oma sich auszogen und Schürzenkleider anzogen, »dass du noch kein einziges Mal sauber gemacht hast, seit du hier eingezogen bist. Du erstickst im Dreck!«
Helgas große Augen. Langsam zog sie die Decke hoch, über das Gesicht.
»Wer ist das?«, fragte Mutter.
Helga, sagte ich.
»Kommen Sie, Helga, ich zeige Ihnen, wo Nathan den Staubsauger hat!«
Ich schrie und tobte und randalierte nicht.
Irgendwann war der Spuk vorbei, und die Wohnung roch nach Desinfektionsmittel wie ein Spital. Und Helga lebte. Sie kroch aus dem Bett, machte Kaffee, verschüttete Kaffeepulver, ließ die Milch überkochen, rauchte, die Asche fiel auf den Boden. Sie hielt mit beiden Händen das Kaffeehäferl wie eine, die zu erfrieren droht. Sie war »Du«.
Mein größter Erfolg in der Zeit, in der ich für die Studentenzeitung schrieb, war der Artikel »Das Hymen – eine bürgerliche Erfindung?«.
15.
Einige Tage später Anne. Mensa. Dann Marxer Keller. Wie abgebrüht sie war. Kühl und selbstsicher nahm sie sich, was sie wollte. Sie kannte keine Scheu, kein Tabu. Sie tat nichts nur deswegen, um mir etwas Gutes zu tun – und tat mir dadurch unausgesetzt Gutes. Es war, gemessen an herkömmlichen Sexualphantasien, so vorbildlich, dass es schon wieder einzigartig war. Es sollte mich heftig erregen – jedes Mal wenn ich später in den Armen anderer Frauen daran dachte. In Annes Armen aber dachte ich erregt an die scheue Zärtlichkeit Helgas, an Helgas große romantische Augen und die so sinnlich gekreuzten Arme über ihrem Busen. Wenige Tage später zog Helga im Marxer Keller ein.
16.
Ein Trennungsgrund ist so gut wie der andere. Zum Beispiel Kirschen im April. Ich war mit Helga nicht glücklich. Aber das war kein ausreichender Grund, wenn man noch gar nicht wusste, was Glück überhaupt ist. Und wir taten alles, um es zu entdecken. So wie wir Ikea-Bücherregale unter steter Überprüfung der Montageanleitung zusammenschraubten – uns dennoch irrten und alles wieder auseinandernehmen und neu beginnen mussten –, so versuchten wir mit Wilhelm Reich in der Hand den richtigen Orgasmus zu basteln. Vielleicht war es gut. Aber wir wussten es nicht, weil wir nur wussten, dass es war, wie es war. Das war immerhin ein Projekt. Was wir lernten, lernten wir gemeinsam. Ich liebte damals Peter Handke, die Texte, in denen er »erste Male« besang, diese poetische Rührung, die das Allerbanalste auflädt, wenn es nur dies ist: eine neue Erfahrung, ein Anfang. Seltsam, dass ich sagen konnte: Ich liebe Peter Handke, aber mich schwertat zu sagen: Ich liebe Helga. Das allerdings hätte auch von Handke sein können: »Ich möchte dich hassen, aber ich hasse Kunstleder.«
Ich hatte auf dem Heimweg von der Uni auf dem Markt Kirschen gesehen und sofort ein Kilo gekauft. Nichts schmeckt so gut wie die ersten Kirschen. Schon auf die zweiten konnte ich verzichten. Aber die ersten! Ich wusch sie, trug die Schüssel ins Zimmer, Kirschenpaare an die Ohren gehängt, ich war dekoriert für den Genuss.
Wie kannst du Kirschen kaufen im April, sagte Helga. Man kauft keine Kirschen im April. Die sind viel zu teuer. Es ist noch nicht die Saison. Was hast du dafür bezahlt?
Ich wusste es nicht. Ich wusste nicht, was Kirschen vernünftigerweise kosten durften. Es war ein Geldschein. Ich habe Retourgeld bekommen. Ich wusste es nicht. Der Streit hätte auch aus einem ganz anderen Anlass entstehen können. Es war so kleinlich. Ich war ja selbst kleinlich, das war es ja nicht, dass sie kleinlich war und ich so ein Weltmann. Aber ich hatte schlicht nicht gewusst, dass es Kirschen gab, wenn es eigentlich noch keine gab. Das hatte nichts mit Charakter zu tun, sondern mit Wissen, mit Erfahrung. Kleine Verhältnisse. Wir hatten nichts anderes. Ich hatte mich gefreut. Ein Genuss. Er war zerstört. Trotzig aß ich
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