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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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Irgendwie zusammengespart. Ich schabte ihn bald ab. Seither rasiere ich mich nass.
    Das Kuba-Solidaritätsfest. Geduscht, gekämmt und rasiert zahlte ich Eintritt, erwartete nichts als billige Cuba-libre-Drinks, bekam zum Zeichen dafür, dass ich gezahlt hatte, einen Stern auf den Handrücken gestempelt und betrat einen Raum, in dem links auf einem Tisch ein Berg Mäntel und Jacken lagen. Ein Vorraum. Das Fest war irgendwo dahinter. Ich drang mit meinem Stempel, der mich zum Eintritt berechtigte, nicht bis zum Fest vor. Denn im Vorraum hing ein großes Che-Guevara-Poster, das Che-Guevara-Poster, darunter saß eine blonde Frau im Schneidersitz auf dem Boden und rauchte einen Joint. Ganz alleine saß sie da. Jeder, der hereinkam, ging an ihr vorbei und hinein in den glühenden Kern des Festgeschehens. Ich blieb stehen, sah sie an, sie sah nicht auf, sie saß einfach da und rauchte, ich sah sie an, ich sah das Poster, dieser schöne Mann, der Held, darunter diese Frau, diese  –, diese schöne Frau, wie das klingt: schöne Frau! Sie hatte die selbstverständliche Schönheit der Jugend, in einem Kontext, der sie zur Ikone machte. Ich setzte mich sofort neben sie, so selbstverständlich, wie ein Automat auf Knopfdruck reagiert. Ebenso selbstverständlich reichte sie mir ihren Joint. Blasiert. Nein, sie blies Rauch aus und hielt mir den Joint hin. (»Mein erster Joint«.)
    Irgendwann kicherten wir. Irgendwann sank sie an meine Schulter. Irgendwann lag sie in meinem Bett im Marxer Keller. Wir hatten uns nur wenig mehr gesagt als unsere Namen. Sie hieß Martina. Sie blieb nach dieser Nacht noch zwei Tage, ohne den Keller zu verlassen. Es ist völlig rätselhaft, Hannah, ich weiß nicht, was wir in diesen Tagen taten, ich kann mich nicht mehr erinnern. Wir haben sicher nicht zwei Tage lang durchgevögelt. Unmöglich. Geschlafen? Ja, und dann? Lesen? Essen? Fernsehen? Rauchen. Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich immer wieder im Freundeskreis erzählte: Und dann blieb sie zwei Tage, ohne dass wir das Haus verließen. Also muss es so gewesen sein.
    Ein Wochenende. Sie war ja berufstätig. Freitagnacht Samstag Sonntag. Am Montagmorgen sagte sie: Ich muss zur Arbeit! Soll ich danach wieder herkommen? Ja! Sagte ich. Wirst du auf mich warten? Ja! Ich komme gegen fünf. Wirst du da sein? Ja!
    Wie leicht mir an diesem Tag alles fiel. Ich las Marx, das Kapitel über Entfremdung in den »Pariser Manuskripten«. Da war kein Widerstand zwischen den Sätzen und meinem Hirn. Keine Müdigkeit. Kein drückendes Zeitgefühl, die Zeit verging nicht zu langsam oder zu schnell, es war einfach immer Jetzt! Ich dachte: Ich verstehe! Ich meinte damit natürlich nicht bloß den Text, den ich las, ich meinte das umfassend: Ich verstehe! Anne hatte recht, die Liebe ist kein Ziel, sondern eine Voraussetzung wie die Gesundheit. Eine Produktivkraft. Ich dachte, wenn es gelänge, so zu leben, diesen Tag zu einem Leben zu machen, dann würde ich keinen Krebs bekommen. Krebs, das hatte ich bei Wilhelm Reich gelernt, war die Krankheit der buchstäblich Glücklosen, der ewig Unbefriedigten. Eine Hungerrevolte der Zellen gegen den Mangel an Lust. Meine Großmutter hatte damals Gebärmutterkrebs diagnostiziert bekommen, sie war seit fünfzehn Jahren Witwe. Es war alles so klar. Und alles rührte mich. Der Lichtkegel meiner Schreibtischlampe. Man musste im Marxer Keller auch tagsüber Licht einschalten. Das hatte mich immer trübsinnig gemacht. Jetzt rührte es mich. Der Lichtkegel schien aus meinen Augen zu strahlen. Mir fiel der Karpfen ein, den Großmutter so unvergleichlich kochte, wenn ich sie besuchte. »Heute lassen wir es uns gutgehen, Nathan!« Ich liebte sie. Ich nahm mir vor, sie am nächsten Tag zu besuchen. Ich machte mir ein Honigbrot und rief meine Mutter an. Oma ging es gut, sagte sie, und: Isst du den Honig, den ich dir geschenkt habe? Der war teuer. Da ist Propolis drinnen, der macht dich stark!
    Ja, Mutter. Ich wunderte mich, dass ich nicht ungeduldig mit ihr wurde. Ja, Mutter. Ja, Mutter. Ich war gerührt: Sie liebte mich. Dann las ich Robert Walser. Das Buch, das mich noch vor kurzem nach wenigen Seiten gelangweilt hatte, jetzt las ich es in einem Zug durch. Jetzt. »Edith liebt ihn. Hievon nachher mehr.« Ich lachte, ich musste minutenlang lachen, als ich begriff, dass diese Edith im Roman dann nie wieder vorkam. Das musste ich Anne erzählen. Nein Martina, wenn sie dann kam. Beiden. Ich schrieb eine Glosse für die

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