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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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Robert Walsers Räuberroman: »Edith liebt ihn. Hievon nachher mehr.«
    Das Kuba-Solidaritätsfest. Ich rief Anne an, sie hatte etwas anderes vor. Überhaupt: Sie gehe nicht zu den Stalinisten. Hör zu, sagte ich, es ist ein Fest und ich dachte –
    Was sollte ich sonst tun? Nichts. Dann doch das Fest. Allein. Was sonst? Das Duschen und Einseifen, das unausgesetzte glitschige Gleiten der Hände über den Körper, das mollige Geschlecht im Schaum, der harte Duschstrahl. So schwermütig mein Wunsch, glücklich zu sein. Dann rasieren.
    Exkurs: Ich rasiere mich nass.
    Ich war sechzehn, vielleicht auch schon siebzehn, als ich mir von meinem Vater einen Rasierapparat gewünscht hatte. Geburtstag? Oder Weihnachten? Jedenfalls ein Anlass. Was wünschst du dir? Einen Rasierapparat. Ich strich über den Flaum auf meiner Wange. Es war so weit.
    Ich sehe noch immer vor mir, wie Vater ihn mir überreichte. Wie ich ihn auspackte. Die Erklärungen meines Vaters. Mit diesem kleinen Pinsel mußt du ab und zu den Scherkopf reinigen, sagte er. Hier kannst du ihn öffnen, siehst du –
    Der Rasierapparat klappte auf und Bartstoppeln rieselten heraus. Siehst du, so! Sagte Vater und wedelte hektisch mit dem kleinen Pinsel über die Innenseite der Apparatur.
    Der Blick meiner Mutter. Meine sprachlose Wut. Die unausgesetzten Erklärungen meines Vaters. Ich glaube, er hat verstanden, sagte Mutter schließlich, das Gerät hier ist ein Rasierer und kein Flugzeug.
    Ja, sein erster, und darum –
    Er hat verstanden, sagte Mutter.
    Ich stellte mir vor, wie Vater in ein Geschäft gegangen ist, um seinem Sohn einen Rasierapparat zu kaufen. Er war verblüfft, wie viel schöner und besser die Rasierer geworden sind, seit er sich zum letzten Mal selbst einen gekauft hatte. Er erstand so ein modernes Gerät. Ich sehe Vater vor mir, wie er dann zu Hause abklärte: Braucht Nathan für sein bisschen ersten Bart wirklich so einen tollen modernen Rasierer? Reichte da nicht der alte, der ihm bei seinem starken Bartwuchs doch immer gute Dienste geleistet hatte? Er konnte nicht anders, er wollte selbst den neuen behalten, wickelte seinen alten Apparat in Geschenkpapier und vergaß noch, ihn zu reinigen.
    Es sind solche Erinnerungen, die weiterschwelen. Andererseits: Was ist solch eine Demütigung und Enttäuschung im Vergleich zu wirklichem Unglück? Nichts. Aber eben deshalb schmerzt es so. Nichts, das notwendig gewesen wäre. Ich wollte Ich sagen lernen und mich rasieren. Ich wollte kein gebrauchtes Ich.
    Ich glaube, ich hätte einen Vater akzeptieren können, der mir erklärt hätte, dass er zu wenig Geld habe, um mir einen elektrischen Rasierapparat zu kaufen. Der mir mit seinem Rasiermesser gezeigt hätte, wie man sich rasiert. Wie man es am Leder abzieht, wie man die Wangen einschäumt, mit zwei Fingern die Haut spannt, damit man sich nicht schneidet. Ich hatte Schulfreunde, die solche Väter hatten. Die mit ihren Vätern Fußball spielten in den Ferien auf dem Strand von Jesolo, und nicht scheu, mit gepresstem Atem »Jugendliteratur« lasen im Kaminzimmer eines Luxushotels. Sie bekamen von zu Hause Energie mit. Wurden Männer. Kämpften sich nach oben. Als die Stipendienpolitik der Sozialdemokraten auf die Energie dieser Söhne traf, entstanden Karrieren. Ich traf diese Söhne später in den politischen Zirkeln der Universität nicht mehr wieder. Weil sie nie dazu angehalten worden waren, ihr Unglück, im Vergleich zum Elend anderer Kontinente, als relatives Glück anzusehen, kamen sie gar nicht auf den Gedanken, ihr Elend mit der globalen Misere kurzzuschließen und im nächsten Schritt ihr künftiges wirkliches Glück vom Glücken der Weltrevolution abhängig zu machen. Sie machten ihr Glück, während wir in den Zirkeln den Kampf des Weltproletariats diskutierten.
    Ich saß in Marx- und Reich-Arbeitskreisen, und wissen Sie, was das Entsetzlichste ist, Hannah? Ich fürchte, dass ich damals die Weltrevolution sogar als Voraussetzung für einen Orgasmus sah: Erst wenn alles Unglück der Welt beseitigt ist, wird mein Glück nicht relativ, sondern absolut sein können. Wenn ich im Marxer Keller ein Fenster öffnete, um zu lüften – Fenster! Es waren Luken, Oberlichter, durch die ich zum Straßenniveau aufblicken konnte!  –, kamen nur der Dreck und die Abgase einer stolzen Stadt herein. Mein Anteil! Ich sollte zufrieden sein und studieren. Ich hatte keine Energie. Nur ein bisschen Trotz: Ich ließ mir den Bart wachsen. Er sah lächerlich aus.

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