Don Juan de la Mancha
stand auf, sah kurz zurück, es kam Rot. Good bye, sagte ich zu dem Scheich. Good luck, sagte er.
Wie ging’s dir, deinen zweihundert Schilling?
Ich hatte Glück, sagte Martina, aber plötzlich war alles weg.
Da schwirrten Sätze, die mein Leben, zumindest mein Leben mit Martina erklärten, und ich begriff sie nicht. Glück, alles weg. Ich fragte sie, was wir jetzt mit dem Geld machen sollten. Italien. Martina liebte Italien. Wir leisteten uns ein Wochenende in Florenz. Ich schrieb pathetische Kunstpostkarten, die ich in den Uffizien gekauft hatte, an meine Freunde und begleitete Martina in Schuhgeschäfte.
Zwei Wochen später heirateten wir. Ich hatte noch immer hartnäckige Reste des Sterns vom Kuba-Fest auf dem Handrücken. Die Hochzeit war ein Kulturschock. Unsere Familien lernten sich erst im Standesamt kennen. Martinas katholische Familie, in der offenbar jedes Mitglied die Gebote »Begehre nie eines anderen Weib« und »Vermehret euch!« als beinharte Verpflichtung ansah. Martinas Mutter hatte vier Geschwister, Martinas Vater ebenfalls. Sie alle hatten Ehepartner und mit diesen jeweils wieder fünf bis sieben Kinder. Einige von diesen waren bereits selbst verheiratet und hatten wiederum zumindest drei Kinder, aber vierte und fünfte waren in Arbeit. Da tummelten sich Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen, Schwägerinnen und Schwager, Nichten und Neffen, genug, um drei Autobusse zu füllen. Die vielen Namen waren verwirrend, aber die Familie grundsätzlich so klar wie die Kinderzeichnung einer Tanne. Ihnen gegenüber meine Familie: Da waren mein Vater mit seiner aktuellen Freundin, meine Mutter mit ihrem zweiten Mann. Mein Onkel, der Bruder meines Vaters, mit seiner dritten Frau, seine erste Frau mit ihrem zweiten Mann und deren Tochter, seine zweite Frau allein. Der Sohn meines Onkels aus erster Ehe mit seiner zweiten Frau, seine erste Frau mit ihrem zweiten Mann. Mein Onkel mütterlicherseits mit seinem Sohn aus erster Ehe, meinem Cousin, und einem vietnamesischen Adoptivkind aus zweiter Ehe. Der Cousin selbst mit zweiter Frau und Sohn aus erster Ehe. Die Schwester meiner Großmutter lebte in einer Hausgemeinschaft mit zwei Freundinnen, mit denen sie seinerzeit aus der englischen Emigration nach Wien zurückgekommen war, und zu denen ich »Tante« sagte. Diese Tanten hatten jeweils einen Sohn, zu denen ich »Onkel« sagte, was verwirrend war, weil sie die Söhne der Tanten waren – mit denen ich nicht einmal verwandt war. Diese Onkel hatten jeweils zwei Kinder aus jeweils zwei Ehen, also vier Söhne, die für mich Brüder waren, weil wir die Sommer immer zusammen im Ferienlager der »Roten Falken« verbracht hatten. Einer der vier hatte bereits zwei Kinder aus zwei Ehen. Der Cousin meines Vaters, kein »echter« Cousin, sondern ein angenommenes Kind der Schwester meiner Großmutter, kam mit seiner zweiten Frau und dem Sohn aus erster Ehe, der wiederum verlobt war mit der Tochter des zweiten Manns der ersten Frau meines Onkels, auch eine Rote-Falken-Bekanntschaft, aber kein Problem, weil nicht blutsverwandt.
Das alles war kompliziert genug, dramatisch aber wurde es durch den Auftritt von Tante Lia, die es sich nicht nehmen ließ, extra von Tel Aviv anzureisen. Ich war ihr Lieblingsneffe. »Du bist sensibel. Du bist gefährdet. Du bist mein Liebstes!«, sagte sie zu mir. Dann flüsterte sie mir konspirativ zu, wie eine Burgtheaterschauspielerin der alten Schule, also so, dass man es noch im dritten Rang verstehen konnte: »Ich hab überprüft diese Familie: schwer katholisch, schwer meschigge!«
20.
Die Zeremonie im Standesamt. Martina sagte Ja. So emphatisch. Laut und deutlich. Absolut sicher. Ich sah sie an. Plötzlich sah ich – nichts. Nichts, das mir vertraut war. Ich kannte diese Frau nicht. Ich erkannte sie nur. Der Standesbeamte sprach nun die Formel für mich (Wollen Sie … aus freiem Willen … in guten wie in schlechten Zeiten …), und ich sah Martina an, ihr Profil, das mir völlig fremd war, ihr Haar, das jetzt nicht ihr Haar war, sondern eine Frisur, die sie in der Früh vom Friseur abgeholt hatte, ihren Mund, sie hatte weiche, volle Lippen, aber dennoch wirkte ihr Mund hart, wieso ist mir das nie aufgefallen, dieser eigentümliche, mir jetzt fast unerträgliche Widerspruch: ein harter Mund mit weichen Lippen, vollmundig streng, so rätselhaft, ich kannte diese Frau nicht. Ich wusste, dass ich diesen Mund geküsst hatte, zugleich aber hatte ich diesen Mund noch nie geküsst. Das war
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