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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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sie irgendeinen Anlass, um die Enttäuschte zu mimen, die Entnervte, die von meinen Lügen Verletzte. Sagte, sie mache Schluss, es sei aus, sie könne so nicht mehr weiter – und erwartete, dass ich daraufhin um sie kämpfe, werbe, alle Register ziehe, um sie zurückzuerobern. Für sie war das eine Variante, um unsere Affäre aufzuladen. Andere Varianten, wie Handschellen, die Samtpeitsche oder die sogenannte »Liebe an ungewöhnlichen Orten«, hatten bei mir keinen Kick bewirkt, sondern nur das Gefühl, die mögliche Lust einer traurigen Lächerlichkeit auszusetzen. Ihre Drohung aber, Schluss zu machen, versetzte mich jedes Mal in Panik, selbst dann noch, als ich längst begriffen hatte, dass es auch nur ein Spiel war. Diese Panik befähigte mich zu Anstrengungen, zu denen ich mich, wenn ich mich sicher fühlte, nie aufgerafft hätte. So gesehen war unsere Liebe keine freie, sondern im ökonomischen Sinn eine liberale: Kein Mensch arbeitete zum Beispiel in meiner Redaktion so viel wie die sogenannten »Neuen Selbstständigen«, also jene, die keine sichere Anstellung, keinen festen Vertrag hatten.
    Ich schrieb täglich mehrere E-Mails an Christa, stündlich eine SMS, und jeden Abend einen konservativen Liebesbrief mit der Hand, den ich ihr am nächsten Vormittag mit Fahrradboten an ihr Institut zustellen ließ. Die Fahrradboten waren wahrscheinlich auch Neue Selbstständige, die am Abend Neue Selbstständige des anderen Geschlechts trafen. Wovon sie wohl träumten. Ich arbeitete unermüdlich. Auf der Suche nach Inspiration las ich Anthologien der schönsten Liebesbriefe, der klassischen Liebesgedichte, sogar Liebesromane und Groschenhefte. Ja, Groschenhefte, da werden wirklich Gefühle auf dem Strich der Zeilen aufgereizt, wirkliche Gefühle.
    Exkurs zur »Gemischten Liebe«. Der Graf trug immer einen grauen Arbeitsmantel, in dessen aufgenähter Brusttasche mehrere billige Kugelschreiber steckten. Seine Haut war grau, sogar seine Lippen. Sein Haar erinnerte in Farbe und Konsistenz an diese Drahtbündel, mit denen man Töpfe scheuert. In seinem Laden brannte nie Licht, herrschte ein ewiger Dämmerzustand. Er handelte mit Liebe und sparte Energie. Er hieß Herr Graf. Man trat bei ihm ein wie in einen alten Schwarz-Weiß-Film. Sein Laden hieß »Romanschwemme. Kauf, Verkauf, Tausch«, und befand sich in der Straße, in der ich mit meiner Mutter wohnte. Ich war damals ein Zwitter. Kein Kind mehr, im Grunde nie eines gewesen, sondern, den Bedürfnissen meiner Mutter entsprechend, »schon so groß«, »so tüchtig«, »so erwachsen«, aber eben noch lange nicht erwachsen, weil erfahrungslos, kindlich meiner Mutter verfallen, abhängig von zweisamer Harmonie und Zärtlichkeit, süchtig nach ruchlosem Kuscheln, ein liebes Kind. Die Welt draußen bestand aus den Kuhwärmeausdünstungen der Kinder in der Schule, Geruch von Lysol, stinkenden Socken in klappernden Gesundheitspantoffeln (die meisten Mitschüler hatten braune Socken. Egal, was sie sonst anhatten, die Socken waren immer braun), gärenden Äpfeln und braunen Bananen, die aus Plastik- oder Alu-Boxen befreit wurden, schwitzenden Wurstscheiben auf Jausenbroten, und dem Leistungsschweiß der Turnväter-Generation, die unsere Lehrer waren. Es war alles so unerträglich physisch. Gerüche, in der Erinnerung nur Gestank, aber so physisch. Dagegen die Kuschel-Idylle bei meiner Mutter: so vergeistigt. Mutter nannte es »Gemütlichkeit«. »Heute machen wir es uns gemütlich«, sagte sie und schickte mich zu Herrn Graf. Meine Mutter war damals halb so alt wie ich heute. Eine junge schöne Frau, die, nachdem sie ihrem Sohn die Lateinvokabeln abgefragt hatte, sich in den Schaukelstuhl setzte und billige Liebesromane las, bis sie müde genug war, um schlafen zu gehen. Was sie dann träumte? Wir hatten damals noch keinen Fernsehapparat. Ein gemütlicher Abend war für uns: lesen. Mutter war eine Zeit lang süchtig nach Liebesromanen. Bei Herrn Graf in der »Romanschwemme« konnte man sie eintauschen. Herr Graf hatte die Liebesromane in zwei Kategorien eingeteilt, in »Markenliebe« und »Gemischte Liebe«. Mit »Markenliebe« bezeichnete er die nach Markennamen geordneten Romanhefte wie »Silvia«, »Fürsten-Roman« oder »Courths-Mahler-Edition«, sie kosteten achtzig Groschen. »Gemischte Liebe« war der Stapel von billigen Liebesromanheften verschiedener Verlage ohne Reihentitel, diese kosteten fünfzig Groschen im Umtausch. Mutter gab mir eine Zehnschillingmünze, sagte:

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