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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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jetzt der Satz: Dein Problem ist, dass dir Befriedigung nicht genügt, sondern nur Erlösung.
    29.
    Exkurs zur Erlösung: Keine Ahnung.
    30.
    Nun befand ich mich auch bei der Beschreibung meines Lebens just in der Sackgasse, in der ich mich im Leben befand. Ich war durch das Schreiben nicht rausgekommen, sondern stand erst recht wieder vor einer Wand und konnte nicht weiter. Das Grundproblem war angesprochen, die Rätsel hatten sich zu einer Frage zusammengefasst. Wenn man eine Frage findet, die man dann aber nicht beantworten kann, deprimiert einen das noch mehr als die fragwürdigen Verhältnisse selbst. Wenn man vor einer Grenze steht, dann wird nichts besser, wenn man auch noch aufschreibt: Hier ist eine Grenze.
    Hannah schwieg.
    Ich hielt es für eine gute Idee, eine Reportage zu schreiben. Ein guter Trick: Ich mache etwas, das ich kann, um damit etwas in den Griff zu bekommen, das ich nicht kann. Eine Reportage zu schreiben, dachte ich, das kann ich wirklich.
    Hannah schwieg.
    Ich hatte einen sehr guten Lehrer. Nicht an der Universität, am Institut für Publizistik. Nein. Damals, als ich bei der Zeitung zu arbeiten begann. Redakteur Paul Prohaska, genannt der Professor. Er bildete die Jungen aus. Er erkannte mein Talent und forderte mich. Das war damals sehr wichtig für mich. Ich hatte es nicht leicht. Alle glaubten, dass ich nur durch Intervention meines Vaters die Stelle bekommen hatte. Es war eine harte Schule. Prohaska schenkte mir nichts. Aber ich bestand. Eines Tages sagte er zu mir: Du bist sehr gut. Bald wird man deinen Vater fragen, ob er seine Tratschkolumne nur deshalb schreiben durfte, weil du für ihn interveniert hast. Er bot mir einen Schnaps aus seiner Schreibtischlade an. Das galt bei Prohaska als Ritterschlag. Sein Lob ließ mich anschwellen. Und so fragte ich ihn in plötzlicher Laune, ob ich ihn jetzt duzen dürfe. Er duzte mich ja auch. Er sagte: Du mich duzen? Nein. Aber du darfst mich mit Paul ansprechen.
    Hannah sah mich an und wartete.
    Paul beherrschte alle klassischen journalistischen Formen. Und bei jenen, die vom Zeitgeist und vom sogenannen Neuen Journalismus zu Grabe getragen wurden, war er der Einzige, der trauernd dem Sarg folgte. Der Leitartikel zum Beispiel. Es gibt ja heute keine Leitartikel mehr. Er wurde ersetzt durch die Meinungskolumne. Eine Meinung ist mein und ich kann sie genauso gut für mich behalten, sagte Paul. Er bekam Wutausbrüche, wenn so eine Meinungsabsonderung, die sich eigentümlicherweise immer mit den Interessen des Zeitungseigentümers deckte, unter der Bezeichnung Leitartikel auftrat. Aber seine liebste journalistische Gattung, die er, solange er etwas zu sagen hatte, immer aufs Neue wiederbelebte, war die Reportage. Er liebte die amerikanische Literatur. Für ihn waren die großen amerikanischen Erzähler Reporter. Hemingway zum Beispiel, im Grunde ein Reporter. Als ich meine erste große Reportage schreiben durfte, nahm er mich zur Seite. Vergiss nicht, was ich dir immer gesagt habe, sagte er: Die Reportage ist eine Kamerafahrt mit Sprache. Geh nah dran und mach einen Schwenk. Das musst du beachten. Geh nah dran, stell scharf und mach einen Schwenk! Und vergiss nicht: Worüber auch immer du schreibst – es ist nicht das Paradies. Wer das Paradies findet, schreibt keine Reportage mehr. Es muss also immer ein bisschen traurig sein. Auch wenn das, was du siehst, komisch ist. Das ist das ganze Geheimnis einer guten Reportage.
    Dann gab er mir einen Klaps auf den Hintern und sagte: Geh und mach’s!
    Hannah machte eine Notiz.
    Ich hatte Pauls Anweisungen im Ohr. Geh und mach’s! Ich hatte meine Erfahrungen, meine professionelle Selbstgewissheit. Aber was ist das Ergebnis? Die Grenze! Nicht einmal die Grenze, über die ich schreiben wollte, sondern eine Grenze des Schreibens. Ich könnte noch viele Schwenks machen über den Weg an die Grenze, aber beim Schreiben gibt es diese physische Chronologie nicht: dass man den ganzen Weg gehen muss, um an einen bestimmten Punkt zu kommen. Man kann schreibend einen Punkt erreichen, ohne den ganzen Weg schreibend gegangen zu sein. Das ist entsetzlich. Entsetzlicher als das Problem, das man zum Anlass des Schreibens genommen hat.
    Hannah machte eine Notiz. Riss plötzlich das Blatt vom Block, knüllte es zusammen und warf es in hohem Bogen in den Papierkorb. Sie traf.
    Hatte dieser Paul ein Verhältnis mit Ihrer Mutter?
    Wie bitte?
    Nathan, diese Frage ist doch nicht so schwer zu verstehen. Hatte dieser Paul – wie

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