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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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Neununddreißig- bis Neunundvierzigjährigen, die gleichsam den Todesstreifen darstellten: »Leben« war vor neununddreißig, nach neunundvierzig war nichts mehr, neunundvierzig markierte die eiserne, die absolut dichte Grenze.
    Also nie mehr dritte Zähne im »Leben«!, hatte Doktor Tenner formuliert.
    Ich habe nie herausgefunden, warum manche Männer mit starkem Übergewicht lächerlich und abstoßend, andere aber mit nicht weniger Volumen machtvoll und beeindruckend wirkten. Ich fürchte, es ist tatsächlich so banal: Es hängt von der Macht ab, die sie haben. Doktor Tenner, unser Herausgeber, hat gewiss noch nie vor einer Frau den Bauch eingezogen, im Gegenteil, er schob ihn einer Frau geradezu entgegen, zum Beispiel Traude, und glaubte wahrscheinlich noch, dass er sie unendlich beeindruckt habe. Macht macht sexy, hatte der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger gesagt, ich weiß nicht, wie die Chileninnen oder die Vietnamesinnen das sahen, aber bei Doktor Tenner hatte ich den Eindruck, dass er davon überzeugt war und mit dieser Überzeugung gut und selbstzufrieden lebte. Er ’war fünfundsechzig und dachte nicht eine Sekunde daran, in Pension zu gehen, geschweige denn daran, dass er sterblich sein könnte.
    Es ist doch grotesk, hatte ich zu ihm gesagt, als wir die Direktiven für den »Leben«-Relaunch bekamen, auf jung zu tun und dabei auf mehr Leser und und mehr Inserate zu hoffen. Ob er sich die Bevölkerungspyramide einmal angeschaut habe. Den Altersschnitt unserer Bevölkerung. Und dann noch die Einkommensverteilung. Warum sollen wir, den Werbefritzen zuliebe, eine Zeitung für Jüngere machen, wenn wir wissen, dass die Alteren erstens die Mehrheit bilden und zweitens das Geld haben. Ich dachte, dieses Argument müsste doch gerade ihm einleuchten, dieser Personifizierung der »breiten Masse«.
    Natürlich haben Sie recht, sagte er. Das schätze ich ja bei Ihnen sehr, dass immer die Fakten stimmen. Aber wir reden jetzt nicht über Bevölkerungspyramiden und Einkommensverteilung. Das ist bloß Soziologie.
    Er nahm sein Taschentuch aus der Hose, wischte sich den Schweiß von der Stirn, und sagte: Könnten Sie dem Fräulein da draußen sagen, ich hätte gerne noch einen Kaffee. Danke.
    Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren, also bei Sinnen zu bleiben. Ich konnte es mir nicht verkneifen, durch die Gegensprechanlage Traude als »Fräulein« anzusprechen.
    Wissen Sie, Nathan, sagte Doktor Tenner, es geht hier leider nicht um Soziologie, sondern um Psychologie. Mit anderen Worten: ums Geschäft.
    Er verstaute umständlich das Taschentuch in seiner Hose, wartete. Traude brachte den Kaffee und sah mich dabei an wie einen Geisteskranken. Ich grinste.
    Beachtlich, sagte Doktor Tenner, als Traude das Zimmer wieder verlassen hatte, so vollmundig.
    Was?
    Der Kaffee, sagte er. Jedenfalls: Es ist unerheblich, wie alt die Maschinen sind – ich meine: die Menschen. Wie komme ich auf Maschinen? Wegen der Kaffeemaschine. Wirklich ausgezeichnet, der Kaffee! Interessanter Versprecher. Sehen Sie, alles Psychologie. Jedenfalls, es ist unerheblich, wie alt die Menschen sind, wie viel mehr Alte als Junge es gibt, das ist alles bloß Soziologie! Die Psychologie ist eine andere Sache. Selbst wenn neunzig Prozent unserer potenziellen Leser Best-Ager wären, also fifty plus –
    Warum sind die mit fifty blass?, fragte ich. Die gehen ins Solarium, fliegen nach Mallorca –
    Wie bitte? Ach so! Nathan, Sie mit Ihren Kalauern! Jedenfalls, selbst dann müssten wir trotzdem eine Zeitung für das Kernsegment der Werbung machen, und das sind die Neunzehn- bis Neununddreißigjährigen. Warum? Ich stelle Ihnen eine einfache Frage, Natham: Was, glauben Sie, können Sie einem alten Mann, der Geld hat, leichter verkaufen? Eine junge Frau oder eine alte?
    Er lachte.
    So einfach ist das. Alles Psychologie. Nur wenn wir eine Zeitung für die Jungen machen, bedienen wir die Alten. Weil: Sie wollen haben, was die Jungen haben, sie wollen beweisen, dass sie noch jung sind, mithalten können, und sie wollen wissen, was man braucht, um jung zu sein. Und sie können es sich leisten. Sie haben ja selbst gesagt: Sie haben das Geld. Aber wenn wir eine Zeitung für Ihre Pyramide machen, schauen wir so alt aus wie die alten Ägypter. Die Jungen interessiert das nicht, die Alten erst recht nicht. Sie verkaufen nicht ein einziges zusätzliches Exemplar der Zeitung an die Zielgruppe dritte Zähne, wenn Sie ihnen erklären, wie ihre dritten Zähne besser

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