Don Juan de la Mancha
haften. Das wissen sie ohnehin. Aber sie wollen wissen, wie sie mit ihren Dritten noch einmal jung sein können. Ich dachte, Sie haben Psychologie studiert.
Nein, sagte ich. Publizistik.
Ach so.
Ich hasste mich dafür, dass ich willfährig genug war, sofort anzufügen: Psychologie im Nebenfach.
Traude kam herein, erinnerte mich an einen Termin, nahm die leeren Kaffeetassen und verließ das Zimmer.
Sie hatte noch sehr gute Beine, schlank und fest. In schwarzen Strumpfhosen waren es die Beine eines jungen Mädchens. Heute trug sie keine Strümpfe. Ein blaues Netz von Aderchen an den Waden. Ich war gerührt. Zugleich wütend. Warum? Ich senkte meinen Blick.
Sah meine Hände. Ich habe Hände wie ein Metzger. Meine Mutter hatte mir erzählt, dass am Tag nach meiner Geburt der Arzt bei der Visite meine Hände betrachtet und gesagt habe: der ganze Vater! Er wollte etwas Nettes sagen, hatte aber, wie sich dann herausstellte, meine Mutter mit der Frau im Nebenbett verwechselt, deren Mann Fleischhauer war.
Man selbst sieht das eigene Altern zuallererst an den Händen. Da verschrumpelt, was einmal zupacken konnte. Die Haut wie Handschuhe, die eine Nummer zu groß sind. Fleckige Handschuhe. Ich hatte mich immer meiner groben Pranken wegen geschämt, hätte gern feingliedrige, nervöse, sensible Intellektuellenhände gehabt. Aber ich wurde weder Intellektueller noch Fleischhauer. Darum passten meine Hände letztlich doch: unpassend für alles, was ich nicht geworden bin. Ich sah sie jetzt mit Rührung an, ballte sie zu Fäusten, öffnete sie, ballte sie wieder. Doktor Tenner räusperte sich. Diese Wut. Den Jungen wird die Jugend geklaut und den Alteren das Alter. Das ist das System. Die Jugend ist bloß eine Bande, über die die Alten ihr Spiel spielen, ein Spiel, bei dem sie selbst das Gefühl für ihr Alter verlieren, am Ende ist keiner, was er ist, hat keiner, was er braucht. Sogar Franz ist vor einiger Zeit Mitglied in einem Fitness-Club geworden. Nach einem Monat härtesten Trainings war er lediglich einen Monat älter geworden. Und von der Anstrengung an den Geräten war er nicht schlanker geworden, sondern hatte einen dicken Hals bekommen. Seither geht er nicht mehr hin. Bis die nächste Freundin sagt: Franz, du musst etwas tun. Im Grunde besteht unser Alter aus solchen Rat- und Rückschlägen.
Gut, sagte Doktor Tenner und stand auf, schlug mit seinen Händen seitlich an die Sakkotaschen, das kleine Ritual, das eigentümlicherweise bei sehr unsicheren und sehr machtbewussten Männern gleich war. Es hieß je nachdem: Ich hoffe oder ich weiß, dass ich nichts vergessen habe.
Dann schob er seinen Bauch aus meinem Zimmer hinaus.
Das war eindeutig der Bauch, den Franz meinte, als er mir gleich nach meiner Rückkehr von Hannah eröffnete, dass er aus dem Bauch heraus eine Superidee gehabt habe: Power-Snacks für Kochmuffel, präsentiert von Spitzenköchen.
Ich setzte mich hinter meinen Schreibtisch. Wo ist die Grenze? Ich sah Franz an. Er gab mir ein Papier mit seinem Konzept.
Wird eine Serie, sagte er. Wir werden natürlich ein Extrabudget dafür brauchen. Darum war ich schon bei der Chefredaktion. Bewilligt!, sagte er.
Ich sah ihn an. Auf welcher Seite bin ich?
Du wirkst so abwesend, sagte Franz, geht’s dir gut?
Abwesend?, dachte ich. Vielleicht, weil ich wirklich auf der anderen Seite bin. Aber dann müsste ich bereit sein, viel mehr im Leben zu riskieren. Aber wofür?
Wofür?, sagte ich.
Geht’s dir gut?, sagte Franz. Für die Serie. Spitzenköche sind nicht billig, und sie sind auch nicht hier um die Ecke. Das bedeutet: Spesen für Dienstreisen, Honorare für die Köche, Honorare für Spitzenfotografen vor Ort, et cetera, aber wie gesagt: schon bewilligt.
Kochmuffel und Spitzenköche?, sagte ich und sah ihn an.
Witzig, nicht wahr?, Passt genau auf unsere neue Linie –
Grenzen sind Linien, die von Mächtigen gezogen werden. Ich sah ihn an.
Was schaust du mich so seltsam an?, sagte Franz. Schau dir das Konzept an! Steht alles drinnen. Die Young Adults können doch heute alle nicht kochen. Und wenn, dann ist es für sie eine aufwändige Freizeitaktivität, so wie Golfspielen. Ja, ab und zu einmal, an einem Samstagabend, da wird aufgekocht für Freunde, aber im Alltag? Zu Mittag? Kein Mensch kann heute in der Mittagspause zwölf Loch spielen, und keiner kann zu Mittag kochen. Was tun sie? Sie essen Junk-Food. Einen Cheeseburger, eine Pizzaschnitte. Sie arbeiten schwer, wollen Karriere machen. Viele
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