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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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nannte sie »my horny girl«), sie wollte an der »Miss Vienna«-Wahl teilnehmen, und Vater war in der Jury. Ich glaube, sie hatte das Gerät einfach aus der Fabrik mitgenommen und meinem Vater geschenkt, aber das war nicht exakt das, was er von ihr wollte, außerdem hatte er längst ein besseres, so war ich zu dem Plattenspieler gekommen.
    Von der Decke baumelte eine Glühbirne, aber Alice hatte das Licht ausgeschaltet und stattdessen eine Kerze angezündet, die sie in einer Küchenlade gefunden und auf einem Teller neben die Matratze gestellt hatte. Das machte mich nervös. Eine Kerze zwischen all dem Papier. Ich wusste gar nicht, dass ich eine Kerze besitze. Sie musste noch von Helga oder Martina stammen.
    Auf meinem Horny drehte sich eine Platte von Uriah Heep, »Easy livin’«, und ich ließ mir von Alice erklären, warum Liebe und Penetration ein Widerspruch sei. Wir tranken Kaffee. Ich hatte extra für diese Nacht eine Flasche Wein eingekühlt, schon vor mehr als einer Woche, und jetzt war Alice endlich da und wollte Kaffee. Kaffee um Mitternacht!
    Wirst du dann schlafen können?, fragte ich.
    Willst du denn schlafen?
    Diese Antwort fand ich vielversprechend. Nein, nein, sagte ich schnell und beeilte mich, Kaffee zu machen.
    Wie peinlich Altersschrullen sind, wenn man jung ist! Ich hatte von meiner Großmutter eine alte Kaffeemühle, mit der ich die Bohnen jedes Mal frisch mahlte. So hatte ich es bei Oma, so hatte ich es bei meiner Mutter gesehen, es war eine der Lebenstechniken, gegen die sich aufzulehnen ich nie für notwendig erachtet habe.
    Ich saß also da mit der Kaffeemühle zwischen den Beinen, und Alice lachte: Es schaut so komisch aus, sagte sie, wie du da zwischen den Oberschenkeln kurbelst!
    Dort im Schrank sind Kaffeehäferln, sagte ich. Sie holte sie heraus und stellte sie auf den Küchentisch.
    Welches willst du?
    Dieses natürlich! Ich bin Ich. Ist doch klar.
    Wir saßen nackt auf der Matratze und tranken Kaffee. Alles, was wir redeten, war untermalt vom Geräusch rhythmischer Stöße und ächzenden Vibrierens. Diese Stöße und das Vibrieren waren so heftig, dass manchmal die Nadel meines Hornys auf der Platte hüpfte. Die Lassallestraße führt zur Reichsbrücke, der wichtigsten Donaubrücke von Wien. Deshalb ist meine Wohnung sehr billig gewesen, wie jede, die an einer Verkehrsader liegt und von Verkehrslärm und Autoabgasen so beeinträchtigt wird, dass man nie ein Fenster öffnen kann. Plötzlich war die Lassallestraße zur himmlisch ruhigen Sackgasse geworden: Die Reichsbrücke war eingestürzt. Sehr rasch aber wurde die Ruhe von Baulärm abgelöst. Tag und Nacht wurde an der neuen Brücke gearbeitet. Ich schrieb damals eine Glosse für die Studentenzeitung über die Frage, warum die neue Brücke in den österreichischen Medien und in den Stellungnahmen der Stadtpolitiker immer »Reichsersatzbrücke« genannt wurde, und nicht »Ersatzreichsbrücke«, wenn schon nicht »Neue Reichsbrücke«. Jedenfalls dröhnte das Stampfen und Schlagen und Vibrieren von der Reichsersatzbrücke-Baustelle durch die alten schlechten Fenster meiner Wohnung und lieferten den Groove zu unserem Bettgespräch. »Easy livin’«.
    Ich empfand, weil diese Frau nackt in meinem Bett saß, ein Triumphgefühl, das stärker war als alles, was ich bisher im Bett als »Befriedigung« erlebt hatte. Ich dachte an keine andere, und ich wollte keine andere. Es dauerte eine Zeit, bis ich begriff, dass das nicht stimmte. Ich dachte an eine andere, und ich wollte eine andere: die, die ich im Seminar gesehen hatte, diese schöne und starke Frau, die aufgestanden war und gesagt hatte: Ich bin Franz Vesely. Die sich ausgesetzt und die standgehalten hatte. Diese Alice sah ich vor mir, während ich jetzt alles übersah, was mich an der nackten Alice in meinem Bett störte: die Abstraktheit, mit der sie über Sinnlichkeit und Lust sprach, ihre Selbstgefälligkeit. Sie sagte öfter »ihr Männer« zu mir als »du«. Ich versuchte gute Figur zu machen, saß sehr aufrecht mit eingezogenem Bauch, während sie irgendwie knödelig zusammengesunken dasaß und einen Mitesser, den sie an der Innenseite ihres linken Oberschenkels entdeckt hatte (ich will nicht lügen – vielleicht war es der rechte Oberschenkel), genüßlich ausdrückte. Kein Zwang, wir sind frei!
    Nein, ich war nicht frei.
    Ja, ich war der verzwickte und nervöse Typ.
    Ich hatte eine andere Vorstellung von Befreiung. Noch nicht: Denn ich tat so, als merkte ich das alles

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