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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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Augenhöhe und nicht auf Beckenhöhe begegne. Alice wurde zur Hohepriesterin der Religion des Penetrationsverbots und Franz ihr Tempeldiener.
    Die Penetration oder, wie Alice es nannte, »das Reinstechen und Aufspießen« bediene nur die Machtgelüste des Mannes und befördere ausschließlich seinen Orgasmus. In der Vagina befänden sich gar keine Nerven, der sogenannte vaginale Orgasmus sei eine Fiktion, eine ideologische Erfindung der Männer. Durch die Penetration werde die Frau also nur erniedrigt und betrogen. Das Lustzentrum der Frau sei die Klitoris, die von dem eindringenden Penis gar nicht stimuliert werde. Die Klitoris müsse mit der Hand stimuliert werden, gleichberechtigter Sex, gemeinsame Lust sei also nur durch den wechselseitigen Gebrauch der Hände gewährleistet, reine Handarbeit.
    Hand, lateinisch manus, Handarbeit: Manipulation, sagte ich.
    Du bist so unernst, sagte Alice.
    Die ewigen Debatten. Warum nur die Hand? Warum nicht auch mit dem Mund?
    Ja, sagte Alice, mach’s mir mit dem Mund.
    Am Ende lief es immer auf oralen Sex hinaus: Wir redeten und redeten.
    Monogamie forderte Alice nicht. Es machte ihr nichts aus, wenn ich auch andere Frauen nicht penetrierte.
    Es gibt allerdings, wie ich durch meine Erfahrungen mit den Bettys bald lernte, so etwas wie die List der Unvernunft oder die ausgleichende Ungerechtigkeit: Ich war mir nicht sicher, ob die Penetration wirklich nur den Männern angenehm war, aber das Verbot der Penetration war auf jeden Fall auch für die Männer von Vorteil. Für die nervösen Männer, die sich der Erektion ohnehin nicht sicher waren, der spontanen, wie auf Knopfdruck funktionierenden Erektion. Wenn man im Bett lag und erst einmal die Penetrationsdebatte führte, konnte man in Ruhe abwarten, ob sich überhaupt eine Erektion einstellte. Wenn ja, gab es immer die Chance, eine Ausnahme zu machen. Wenn nein, blieb man eben emanzipiert.
    43.
    Am Tag vor meiner Abreise nach Paris traf ich Christa zum Mittagessen. Wir hatten jeder ein halbes Dutzend Austern Fin de Claire, dann ein Steak Tartar mit gehobeltem Ginseng, dazu getoastetes französisches Brot, und als Dessert in Schokolade getunkte Spargelspitzen. Das war an diesem Tag das »Don-Giovanni-Menü« im Hotel »Zur Spinne«.
    Es war genüsslich, vergnüglich und zugleich erschien mir das alles lächerlich. Ich war sehr eigentümlich gestimmt. Ich glaube, dass ich an diesem Tag zum ersten Mal in aller Tiefe, das heißt abgründig, empfand, dass ich Christa liebte. Heillos und aussichtslos. Wir zwei waren so sehr auf Ausnahmezustände fixiert, dass ein gemeinsamer Alltag unvorstellbar war. Alltag, den hatte sie mit Georg, ihrem Mann, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass dieser Alltag wettbewerbsfähig war mit unseren Ausnahmen. Umgekehrt war unvorstellbar, dass unsere Ausnahmen in einen Alltag übergeführt werden könnten. Was mich beschäftigte, war Christas Lustfähigkeit, und wie nah dran an der Lust ich mich selbst fühlte, wenn ich mit Christa in der »Spinne« war. Wegen der Parisreise ging mir auch die Geschichte mit Alice durch den Kopf, intensiver als es sonst Erinnerungen tun, wohl deshalb, weil ich sie so ausführlich Hannah erzählt hatte. Jetzt, in der »Spinne«, konnte ich überhaupt nicht mehr glauben, dass das wirklich mein Leben, ein Teil meines Lebens gewesen ist. Hat es Spuren hinterlassen? Oh ja, hatte Hannah gesagt, ich sehe die Fingerabdrücke von Alice auf Ihrer Seele!
    Christa. Vor dem Hotel war an diesem Tag eine Baustelle. Ich hörte einen Presslufthammer, ich empfand sein Rattern und Stoßen als fernes Echo der Maschinen, mit denen seinerzeit die Ersatzbrücke gebaut worden war.
    Ich fragte Christa, wer mehr Lust empfinden kann, der Mann oder die Frau.
    Meinst du beim Sex?
    Ja, sagte ich, aber man wird das wohl nie entscheiden können, weil kein Mann wirklich nachempfinden kann, was eine Frau spürt, und umgekehrt.
    Doch, sagte Christa, man kann es entscheiden, besser gesagt: Es ist längst entschieden und bewiesen worden. Du solltest in meine Vorlesungen kommen und ein bisschen griechische Mythologie und Kulturgeschichte nachlernen, sagte sie. Dann würdest du die Geschichte vom blinden Seher Teiresias kennen. Weißt du, warum er blind war? Genau aus diesem Grund: weil er deine Frage beantworten konnte. Teiresias hatte als junger Mann einmal zufällig am Wegrand zwei Schlangen gesehen, die sich gerade begatteten. Er ekelte sich so sehr, dass er mit einem Stock auf die Schlangen einschlug.

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