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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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Landesgerichtsstraße 8, Bettauerzimmer. BILDUNG STATT SITTLICHKEIT. Seminarkritik. Methodendiskussion. Perspektiven. KOMMT IN MASSEN!«
    »Kommt in Massen« fand ich blöd, Franz meinte, das sei ironisch, und Alice sagte, wenn einer kommt, dann ist er eben die Masse. »Bildung statt Sittlichkeit« fand ich witzig, obwohl mir klar war, dass den Witz nur die verstehen würden, die ihr Philosophicum bereits hinter sich gebracht hatten. Und dass Franz »treffen« mit nur einem f geschrieben hatte, fiel mir und auch Alice leider nicht gleich auf.
    Wer weiß, ob dieses Plakat auch nur einen einzigen Studenten ins Bettauerzimmer gelockt hätte. Der Eklat aber, zu dem es kam, als wir das Plakat im Korridor des Instituts aufhängten, machte diesen Aufruf verblüffend wirksam.
    Es begann mit einem banalen Problem, das dramatische Konsequenzen haben sollte. Franz hatte ein Klebeband mitgebracht, das, als wir die zweite Ecke des Plakats an der Wand befestigt hatten, aufgebraucht war. Oben war das Plakat fixiert, unten rollte es sich auf.
    Wie kann man nur so blöd sein, sagte Alice, du musst doch gesehen haben, dass auf deinem Kleberoller fast nichts mehr drauf ist.
    Den hatte ich zu Hause, sagte Franz, und einfach mitgenommen. Man sieht ja nicht, wie viel noch drauf ist.
    Wir waren mit dem Klebeband sehr großzügig bei den oberen Ecken, sagte ich, vielleicht können wir einen Teil davon wieder vorsichtig runterlösen und für unten –
    In diesem Augenblick stand plötzlich Professor Poppe da, wie ein Geist aus einem Horrorfilm: Lodenmantel, Steirerhut, in der einen Hand hielt er einen Regenschirm, in der anderen seine bauchige Kunstledertasche. Aha, sagte er. Er dehnte das A und machte dann eine Pause vor dem kurz ausgespuckten ha, es klang, als würde ein Tier zuschnappen, während er seinen Regenschirm hob und nach vorne stieß wie ein Fechter. Er fuhr mit dem Regenschirm nach unten, las das Plakat, zog den Regenschirm kurz weg, worauf das Plakat sich unten wieder etwas aufrollte, glitt mit dem Regenschirm unter das Plakat, fuhr hoch und riss es mit einer energischen Lüpf-Bewegung von der Wand.
    Es sei verboten, hier Plakate wild zu affichieren. Nur offizielle Informationen der Universität und des Instituts dürften hier ausgehängt werden, und auch nur auf der dafür vorgesehenen Info-Tafel.
    Mit schiefem Mund stieß er die Spitze seines Regenschirms auf das Wort »trefen«, sagte: Und keine Ahnung von deutscher Orthographie. Trefen – das ist eindeutig nicht koscher.
    Er stieg auf das Plakat, stieß es schließlich mit der Schuhspitze weg und ging in sein Zimmer.
    Wir standen um das Plakat herum, das auf dem Boden lag, zerknittert, eingerissen, mit Abdrücken der Profilsohlen von Poppes Schuhen. Es hatten sich inzwischen zehn oder mehr Studenten angesammelt, die schweigend zugeschaut hatten.
    Alice kniete nieder, strich das Plakat auf dem Boden glatt, streckte einen Arm hoch und sagte: Gib mir einen Stift!
    Franz und ich reichten ihr unsere Kugelschreiber, sie nahm meinen! Sie kringelte die Schuhabdrucke auf dem Plakat ein, malte Pfeile, die darauf zeigten und schrieb quer darüber: »So tritt Prof. Poppe die Interessen der Studenten mit Füßen!«
    Dann stand Alice auf, sagte zu Franz: Das Klebeband!
    Wir haben keines mehr!
    Dann besorge eines, du Idiot!
    Franz sah mich an. Unten in der Lehrmittelstelle?
    Alice sagte: Poppe. Er hat das Plakat runtergerissen. Jetzt holen wir uns von ihm das Klebeband.
    Sie lief los, Franz und ich liefen ihr nach. Das Vorzimmer Poppes war leer. Franz schaute, ob auf Frau Haders Schreibtisch ein Klebeband lag, Alice öffnete die Tür zu Poppes Arbeitszimmer.
    Ein großer Schreibtisch. An diesem Schreibtisch saß niemand. Davor ein Besuchersessel. Kein Besuch. Vor dem Fenster ein großer Gummibaum mit glänzenden grünen Blättern. Keine Schädlinge, keine Läuse. Ein Ottoman.
    Auf diesem Ottoman lag Poppe, bekleidet, aber mit heruntergezogener Hose, auf ihm saß Frau Hader mit hochgerafftem Rock.
    Ich habe das nicht gesehen. Doch, Augen habe ich gesehen, schreckhaft aufgerissene Augen. Ich wollte das nicht sehen. Ich sah wie auf eine Nebelwand. Ich zwinkerte, um den Nebel aus meinen Augen wegzuwischen. Dann sah ich den Hintern von Alice, als sie sich über Poppes Schreibtisch beugte und ein Klebeband suchte. Nein, sie war kein Tier. Sie war eine Maschine. Metallgelenke, Stahlfedern. Der Geruch in diesem Zimmer. Ich habe nichts gesehen. Ich weiß nur noch, dass es sehr abgestanden roch.

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