Don Juan de la Mancha
Wie kann man Lust empfinden, wenn es so riecht? Und dann hing das Plakat.
39.
Sie kamen in Massen. Was damals eine Masse war. Vierzehn Studentinnen und Studenten fanden sich am folgenden Dienstag im Bettauerzimmer ein. In der Mehrzahl Frauen. Die lustigen Weiber von Wien.
Wie lustig sie waren – auf Kosten von Barbara Hader. Zunächst wurde sie »Poppes Püppchen« genannt, aber ich musste das leider steigern und sagte »kurz: Pöppchen«. Das Gelächter spornte mich an, und der Wein, und die amüsierten Augen von Alice, und wie leicht alles war, wie schön das Gefühl der Bestätigung, der Übereinstimmung mit anderen, und ich imitierte die Art und Weise, wie Barbara nach dem Orgasmus Dulieberlieber sagte, aber ich tat natürlich so, als würde das meiner Phantasie entspringen oder den Sprungfedern von Poppes Ottoman, und es gab Gejohle und Gehöhne, alle lachten bei der Vorstellung, wie sie das zu Poppe sagte – zu Poppe! Du Lieber! –, diese Vorstellung in Kombination mit meinem Stimmenimitationstalent war die absolute Lachnummer.
Wir alle hier waren Babuschkas, bunte Figuren, in denen immer noch eine andere steckte, eine gnadenlose, die als erste zum Vorschein kommt, wenn man die äußere öffnet, eine beengte, die sich befreien will, aber fest umschlossen ist von einer ängstlichen, in der ein Graf oder eine Gräfin steckt, voller Sehnsucht nach Kitsch und Tränen, darin ein gebrochener Sohn oder eine verletzte Tochter, schon ziemlich klein ein neugieriges Kind, und ganz im Innersten steckte eine winzige Puppe, die leer war.
Aber der Name Pöppchen, das war klar, blieb an Barbara Hader hängen.
Was ist eigentlich das Problem?, sagte ein junger Mann mit sehr langem dickem Haar, das ihm immer wieder ins Gesicht fiel, worauf er es mit der Hand nach hinten strich. Es war eigentümlich: Er machte das Victory-Zeichen und schob mit den ausgestreckten Fingern seine Haare zurück. Ich hatte noch nie eine solch riesige Pranke gesehen.
Professor Poppe ist ein männliches Schwein –
Ein Eber?, sagte der Mann mit der Pranke.
Weil er ein Autoritärtsverhältnis ausnützt und –
Was soll man sonst mit einem Autoritätsverhältnis machen?, sagte er.
Missbrauch! wurde gerufen, und: Ausnützen von Abhängigkeit und –
Na gut, sagte er, aber wenn er ein Schwein ist und sie ein Opfer, warum verhöhnt ihr dann sie?
Willfährigkeit! Unmündigkeit! Dummheit!
Vielleicht mag sie ihn, sagte er und strich das Haar zurück, vielleicht fickt er gut, vielleicht will sie gern gefickt werden, wo ist das Problem?
Wer ist dieser Zyniker?, fragte Alice.
Vielleicht heißt er Eberhard, sagte ich.
Wir sollten endlich mit der Tagesordnung anfangen, sagte Franz.
Ich hatte plötzlich diese riesigen Hände vor meinem Gesicht. Der Mann war aufgestanden und hatte sich weit über den Tisch zu mir herübergebeugt. Ich bin kein Publizistikstudent, sagte er und streckte mir die Handflächen entgegen. Ich war mit Lisa – er zeigte auf eine Studentin aus unserem Seminar – verabredet, aber sie wollte hier vorbeischauen. Ich studiere auf der Akademie, Bildhauerei. Verstehst du? Ich haue Steine und nicht Menschen!
Ich lehnte mich zurück, versuchte mit Alice einen ironisch komplizenhaften Blick zu tauschen, schluckte, und Franz sagte: Ich glaube, das wäre geklärt, bitte jetzt die Tagesordnung.
Der Kunststudent und Lisa gingen, und wir begannen endlich mit den normalen Geschäften einer revolutionären Institutsgruppe.
Franz schwirrte herum, klärte, was zu klären war, besorgte, was zu besorgen war, organisierte, was zu organisieren war. Er war für Alice der Kugelschreiberreicher und der Weinreinbringer. Er war der, der bei einem Entwurf für ein Flugblatt, das Alice diktierte, aus sieben untergeordneten Nebensätzen fünf ordentliche Hauptsätze machte, aus Einwürfen das Protokoll, aus Ideen künftige Tagesordnungspunkte. Ich hatte meinen Teil erledigt. Ich hatte Barbara verraten, auf die Zustimmung von Alice gesetzt, und auf das Lachen der Weiber von Wien. Es war gutgegangen. Es ging mir schlecht.
Die Zeiten waren Dali-Uhren. Sie schmolzen weg. Ich schlief allein in dieser Nacht.
40.
Alice liebte das Kino. Auch wenn sie nach dem Film gern schnoddrige Kommentare abgab, merkte man im Dunklen, neben ihr sitzend, wie sie es liebte, wie sie sich öffnete, wie sie sich ergreifen und durchdringen ließ von den Schicksalen auf der Leinwand.
Gehen wir ins Kino?, sagte ich.
Ja, sagte sie, ich gehe ins Kino, du kannst gern
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