Don Juan de la Mancha
nicht, oder als wäre das ganz normal, ganz lässig, ja, so sind wir freien Menschen, sitzen nackt im Bett und reden über Sex und drücken Mitesser aus.
Draußen trieben es die Maschinen, ich bewegte mich im Takt mit dem stampfenden Baulärm, hörte Alice zu.
Bist du nervös? Warum wippst du so?
Wippen? Ach so! Nein, es ist der Rhythmus, ich –
Rhythmus? Aber die Platte ist doch längst zu Ende.
Ja. Die Platte. Was willst du jetzt hören?
Was ich hören will? Janis Joplin und dein Atmen an meinem Ohr!
Atmen konnte ich bieten. Janis Joplin nicht. Ich schmiegte mich an sie. Irgendwann begriff sie, dass es in der Lassallestraße einen Rhythmus gab, in dem man sich bewegen konnte, der den Takt des Zuckens und Aneinanderreibens vorgab.
Aber Reinstecken war verboten.
In der Früh machte ich das Frühstück.
Als sie aufwachte, in die Küche kam und den gedeckten Tisch sah, setzte sie sich, zündete eine Zigarette an und sagte: Ich frühstücke nie!
Und ich sagte: Ich eigentlich auch nie! Ich mache nie Frühstück!
42.
Unsere Arbeitsgruppe wurde mittlerweile von den Publizistikstudenten »Die Bettauer« genannt, zugleich wurden ihre Mitglieder so bezeichnet. Professoren und Dozenten warnten einander, wenn sich mehrere Bettauer für eine bestimmte Übung anmeldeten, Studenten diskutierten das letzte Flugblatt der Bettauer, und es kam sogar vor, dass ein erstsemestriger Student Franz scheu fragte, was ein Bettau ist, weil er das für den Singular von »die Bettauer« hielt, von denen er so viel hörte.
Franz schlug vor, diesen Namen, der sich im Volksmund des Instituts durchgesetzt hatte, offiziell zu übernehmen, die Plakate und Flugblätter forthin so zu unterschreiben, zumal der Name »AG Publizistik« ja wirklich »nicht sexy« sei. Für die Formulierung »nicht sexy« erhielt Franz zwar den Ordnungsruf eines sexuell Korrekten (ich kann es nicht beschwören, aber ich fürchte, das war, nach kurzem Blicktausch mit Alice, ich), doch dem Antrag wurde stattgegeben.
Die Bettauer waren noch immer keine Masse, aber immerhin schon zur Horde angewachsen. Im Schnitt kamen mittlerweile vierzig Personen am Dienstag ins Bettauerzimmer. Wir waren schon damals, ohne es selbst begriffen zu haben, eine terroristische Einheit – wir waren so antiautoritär, dass wir schon wieder für Autoritätshörige attraktiv wurden: Der Druck, den wir ausübten, war so groß, dass die Streber es gar nicht mehr wagten, sich bei Poppe oder anderen Professoren als Ministranten anzudienen. Wir hatten den Feigen den Mut zur Feigheit genommen – so interpretierten wir jedenfalls den Sachverhalt, dass die, die sich immer duckten, sich nun auch vor uns duckten.
Alice gründete mit einigen Bettauer-Frauen eine eigene Frauengruppe, die sich »Betty« nannte. Die Bettys buchten das Bettauerzimmer am Mittwoch.
An den Mittwochabenden saßen Franz und ich vorne im Schankraum des Hebenstreit und warteten, bis die Frauen aus dem Bettauerzimmer herauskamen, aufgekratzt, lustig, stolz, und wieder die Gesellschaft von Männern zuließen. Im Grunde wartete Franz genauso wie ich auf Alice, was ich lange nicht begriff. Ich dachte zunächst, dass der treue Franz mir Gesellschaft leistete, während ich auf Alice wartete. Allerdings machte er mich so unermüdlich aufmerksam auf diese oder jene interessante oder gar spannende Betty – das war sein Superlativ, wenn er von einer Frau schwärmte: spannend! –, dass ich nach wenigen Wochen zwei harte Fakten nicht mehr ignorieren konnte: Franz war genauso in Alice verliebt wie ich, und ich war verführbar von den Frauen, die Franz mir zuführte, um mich von Alice abzulenken. Er machte Stimmung für mich, raunte zum Beispiel einer zu, wie sehr ich von ihr geschwärmt hätte, worauf sie mich mit ganz anderen Augen ansah, nämlich überhaupt erst anschaute, und es war just die, die Franz mir als »spannend« anempfohlen hatte, worauf ich zurückschaute und alles seinen Lauf nahm. Er fand immer neue Mittel und Umwege, um Frauen für mich zu erwärmen, die er mir ans Herz und ins Bett legte, dass ich bald vollends verliebt war: in meine Beliebtheit.
Es hätte das Paradies sein können, wenn man die Frage einklammert, ob die Nacktheit oder aber das Feigenblatt das Charakteristikum des Paradieses ist, und wenn nicht Alice die Pförtnerin dieses Paradies-Hintereingangs gewesen wäre. Alice hatte die Bettys bald darauf eingeschworen, dass sie Befreiung und Glück nur finden könnten, wenn die Frau dem Mann auf
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