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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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aus Jugoslawien nach Wien gekommen, aus Zagreb, sagte er, als Gastarbeiter. Deshalb habe er eben diesen kroatischen Namen. Bormašin.
    Ob er auf seine Freundin warte, wie hieß sie?
    Lisa, sagte Franz. Lisa sei aber heute nicht da.
    Nein, sagte er, er sei mit Lisa nicht mehr zusammen, machte das Victory-Zeichen und strich sich das Haar aus der Stirn.
    Aha, sagte Franz.
    Ich nickte.
    Seine Eltern wollten demnächst zurück nach Kroatien, sie hätten genug gespart, um sich ein Haus bauen zu können, erzählte Bormašin, aber er wolle nicht mit ihnen mit, allerdings wolle er auch nicht in Wien bleiben. Als Künstler müsse man nach Paris. Nur wenn man sich in Paris durchsetze, habe man sich durchgesetzt. Wien sei uninteressant. Unwichtige Menschen behinderten andere, die noch unwichtiger seien. Dabei übersehen sie das Wichtigste, nämlich das Neue. Nein, nein, er müsse nach Paris.
    Mochte er doch nach Paris gehen, was ging das mich an. Franz aber stellte Fragen. Wie das mit der Aufenthaltsbewilligung in Frankreich sei, wie er den Aufenthalt in Paris finanzieren wolle, ob er Kontakte zur Pariser Kunstszene habe, ob die Pariser Kunstszene just für Bildhauer so besonders attraktiv wäre oder ob es für Bildhauer nicht andere Zentren gäbe, immer mehr Fragen und Zwischenfragen, Franz war mit den Antworten nie zufrieden, stellte Widersprüche in Bormašins Aussagen fest und fragte nach. Ich hörte nur, was unvermeidlich zu hören war, während ich vor mich hin schaute – bis ich nur noch groteskes Theater sah: der Mann mit dem weit nach hinten gerutschten Haaransatz und dem dünnen Pferdeschwanz, ihm gegenüber der Mann mit dem dicken Haar, das ihm immer wieder ins Gesicht fiel. Wie zwei Männer mit Perücken, dem einen war sie nach vorne, dem anderen nach hinten gerutscht. Der neugierig strenge Gesichtsausdruck des einen, der überheblich ironische des anderen. Der vorstoßende Zeigefinger des einen, wenn er seine Fragen stellte, und das Victory-Zeichen des anderen, wenn er seine Haare nach hinten strich. Ich trank Wein, war dumpf im Kopf und grinste.
    Dann kamen endlich die Bettys aus dem Bettauerzimmer, Alice winkte uns zu, küsste Bormašin und ging. Mit ihm.
    Was ist jetzt passiert?
    Gute Frage, sagte Franz.
    Bis zum Wochenende gelang es weder mir noch Franz, Alice zu erreichen. Dann rief sie an und offenbarte mir, dass sie mit Bormašin nach Paris gehe. Wir telefonierten lang. Es hatte keine Bedeutung. Reden wird oft überschätzt. Sich ausreden. Wer kann schon ausreden, wenn er sich ausreden will? Und sich herausreden? Oder die Tür verriegeln, durch die sich der andere rausredet? Das wird so sehr überschätzt wie die eigene Befindlichkeit während des Redens. Man glaubt, man könne nicht mehr weiterleben. Und dann lebt man doch weiter. Man lebt immer weiter. Solange man lebt. Man will, weil etwas gesagt wurde, nicht mehr leben? Unsinn. Spätestens wenn der Krebs zu fressen anfängt, will man wieder. Reden fügt genauso viel Schmerz zu wie Nichtreden. Aber mehr offene Wunden. Ich will ehrlich zu dir sein. Ganz offen. Du musst versuchen, mich zu verstehen. Bei mir hat sich etwas geändert. Ich spüre es ganz stark. Ich habe lange nachgedacht. Ich habe es mir nicht leichtgemacht.
    Man kann Menschen schweigend und redend auspeitschen. Aber wenn Sätze wie die Riemen einer Peitsche wirken können, dann ist dieser Satz der Peitschengriff: Ich habe es mir nicht leichtgemacht.
    Seither habe ich Alice nicht mehr gesehen.
    Ihr Verschwinden war das Ende der Bettys. Welch charismatische Gestalt Alice war, mag man daran ermessen.
    Irgendwann eine Ansichtskarte aus Paris: »He Tiger! Du musst Dein Leben ändern! Alice.«
    Wieso Tiger? Ich war offenbar das Opfer einer Verwechslung.
    Die Ansichtskarte zeigte den Eiffelturm.
    45.
    Was hat dich so verändert?, sagte Franz. Habe ich mich verändert?
    Ich weiß nicht, sagte ich, ich habe keine Lust mehr.
    Was meinst du mit keine Lust mehr? Lust worauf?
    Ich weiß nicht, sagte ich, so weiterleben wie bisher, studieren, warten.
    Warten worauf?
    Ich weiß nicht, sagte ich.
    Kommst du heute Abend?
    Wohin?
    Bitte, Nathan, heute ist Dienstag. Bettauer.
    Ich weiß nicht.
    Bitte, Nathan!
    Ich habe keine Lust, sagte ich.
    Ich ging nicht hin. Ich versäumte den letzten Bettauer-Abend. Leider. Damals war ich froh, dass ich nicht dabei war. Heute denke ich, ich wäre gern dabei gewesen. Es war eine Farce. Die Bettauer starben gewissermaßen durch ein Attentat. Ich las in der Zeitung, was

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