Don Juan de la Mancha
geschehen war.
Einige Bettauer hatten ein paar Tage zuvor ein Flugblatt produziert, in dem »Freiheit für politische Gefangene« gefordert wurde. Gemeint waren die inhaftierten Mitglieder der »Roten-Armee-Fraktion«, vulgo »Baader-Meinhof-Bande«. In den österreichischen Zeitungen herrschte schon seit Wochen die Hysterie, dass die »Terrorwelle« von der Bundesrepublik auch auf Österreich überschwappen könne. In Westdeutschland waren Repräsentanten von Politik, Finanz und Wirtschaft entführt und ermordet worden. Als ein Mitglied der RAF in Wien verhaftet wurde, schien es gewiss: Auch in Österreich braute sich etwas zusammen. Die österreichische Staatspolizei analysierte das Flugblatt der »Sympathisanten« und vollbrachte die Meisterleistung, herauszufinden, dass die Bettauer sich jeden Dienstag im Bettauerzimmer trafen, so wie es auf dem Flugblatt stand. Eine revolutionäre Zelle in einem konspirativen Extrazimmer. Die Polizei war begierig danach, Erfolge vorweisen zu können. Sie gab einigen ausgesuchten Journalisten Tipps. Diese saßen im Schankraum des Hebenstreit und warteten mit Fotoapparaten auf den Polizeieinsatz. An diesem Abend hätte ich meinen späteren Lehrer Paul Prohaska kennenlernen können. Er saß an der Schank und trank, während der junge Fotoreporter, den er mitgenommen hatte, immer wieder nervös mit dem Belichtungsmesser hantierte. Was hatten sich die Bettauer gedacht, als sie in das Gasthaus Hebenstreit kamen und an einem halben Dutzend Fotografen vorbei ins Hinterzimmer eilten? Nichts. Und dann kam der Polizeieinsatz. Angeführt vom Leiter der Staatspolizei persönlich: Karl Vesely. Es gab ein Blitzlichtgewitter und am nächsten Tag Fotos von Franz und Karl Vesely und die Schlagzeile in den Zeitungen: POLIZEICHEF VERHAFTET EIGENEN SOHN.
Franz war tagelang berühmt. Die Bettauer waren tot. Und ich brach mein Studium ab. Ich –
46.
Alice, das war dreißig Jahre her. Und zugleich morgen. Am nächsten Tag sollte ich sie also Wiedersehen. Szenen einer Ehe. Die zum Glück nie geschlossen wurde. Und ich saß mit meiner Frau beim Abendessen. Nie um Verzeihung bitten müssen. Christa, das war vor wenigen Stunden. Ich hatte plötzlich den Eindruck, dass ich nach der »Spinne« roch. Das Besteck in meinen Händen, ich legte die Gabel ab, sah meine Hand an, die das Messer hielt, ein gefühlloses Instrument, aber in der Faust das Druckgefühl, das Gefühl. Die Spielregeln des letzten Tango: keine Namen, keine Geschichten. Woher kam dieser Geruch? Ich dachte an »Spinne«, aber er erinnerte zugleich an etwas Verwesendes.
Was hast du?
Nichts, sagte ich, ich glaube, ich bin einfach erschöpft.
Meine Frau musste am nächsten Tag nach Rotterdam. Es stellte sich heraus, dass unsere Flüge fast gleichzeitig gingen.
Wir könnten gemeinsam ein Taxi zum Flughafen nehmen.
Ja, sagte ich, wunderbar, tun wir das.
Ich liebte sie. Es ist keine Kunst, das Liebenswerte an einem Menschen zu lieben. Das Liebenswerte zu lieben ist nicht Liebe, sondern Huldigung. Wenn aber einer, der immer die Zahnpastatube verschließt, einen sentimentalen Blick auf die vorne eingedrückte und nicht zugeschraubte Zahnpastatube im Badezimmer wirft, dann liebt er den Menschen, der mit geputzten Zähnen im Bett liegt. Dies zeigt allerdings auch, dass Liebe nichts mit Sex zu tun hat, mit Gier – wer putzt sich bei Sturm noch die Zähne? Daher führt Liebe konsequent zu getrennten Schlafzimmern.
Am nächsten Tag die gemeinsame Taxifahrt zum Flughafen.
Wir sollten wieder einmal miteinander reden!
Ja, sagte ich, das sollten wir.
47.
Das war asphaltierter Dschungel. Wildnis. Nomadisierende primitive Stämme. Absolute Fremde. Ich war schon mehrmals in Paris gewesen, aber diese Stadt kannte ich nicht.
Bei meinem ersten Parisbesuch war mir alles vertraut erschienen. Den Eiffelturm zum Beispiel hatte ich schon unzählige Male gesehen, bevor ich zum ersten Mal vor ihm stand. Kein Zufall, dass der Begriff Déjà-vu aus dem Französischen kommt. Meine Entdeckungen deckten sich mit meinem Vorwissen, die Urteile, die die Stadt mir nahelegte, mit meinen Vorurteilen. Die Ungeduld der Pariser mit meinem fehlerhaften Französisch, ja schon ihre Verachtung meines Akzents. Kein Zufall, dass der Begriff Chauvinismus als französisches Lehnwort in fast alle Sprachen Eingang gefunden hat. Und das Klischee. Die Liebe! Einer kühl blickenden Pariserin, die die Blicke ignoriert, die auf sich zu ziehen das Ziel ihrer Morgentoilette war, traut
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