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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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da herumschnüffle, fragte sie. Sie fotografiere gerne, dann klebe sie die Fotos in Alben.
    Einmal gab mir Prohaska den Auftrag, mich umzuhören und in Erfahrung zu bringen, ob Peter Alexander ein Toupet verwende. Warum, fragte ich, wen interessiert das und wen geht das etwas an? Wir sind Schnüffler, sagte er. Da war das Wort wieder. Sprache ist eine Verräterin.
    Aufträge. Es geschah selten, dass mir einer sagte, was ich tun sollte. Der am häufigsten ausgesprochene Auftrag war, das Zimmer zu verlassen und nicht zu stören. Das hatten wir allerdings auch auf der Uni gelernt, im Seminar bei Poppe. Prohaska schickte mich um Wurstsemmeln. Sein Magen war vom Alkohol schon so angegriffen, dass er sie nicht essen konnte. Angewidert hielt er mir die angebissenen Semmeln hin: Vielleicht wollen Sie das essen?
    Was sollte ich tun? Die Sterne meinten es gut mit mir. Madame Piroska kreuzte meinen Weg. Eines Tages drückte mir Prohaska hochgradig gereizt ein Blatt in die Hand, sagte: Übersetze das ins Deutsche. Und das machst du jetzt jeden Tag.
    Es war die Horoskop-Spalte. Das Horoskop gehörte zur Gesellschaft. Geschrieben wurde es unter dem Künstlernamen Madame Piroska von Frau Tóth, einer Ungarin, die 1956 nach dem Aufstand nach Österreich geflüchtet war. Sie ist damals dreißig gewesen, bereits zu alt, wie sie sagte, um noch perfekt Deutsch zu lernen. Als ich sie kennenlernte, hatte sie etwa das Alter meines Vaters, also das Alter, das ich heute habe. Ich empfand sie als eine sehr alte, schrullige Frau. Wie jung sie war, verstehe ich also erst heute. Sie war verwandt mit Mate Fenyvesi, dem Osteuropa-Experten der Zeitung, ebenfalls ein Sechsundfünfziger-Flüchtling, der rasch eine Karriere als publizistischer kalter Krieger gemacht hatte, und ihr die Stelle als Astrologin bei der Zeitung verschaffen konnte. Nepotismus war damals so selbstverständlich wie der Kalte Krieg, aber die warmherzige, naive Piroska verstand unter Kaltem Krieg höchstens den allfälligen Konflikt kalter Sterne und Planeten, Mars in Opposition zur Venus. Sie verstand mich.
    Ihre Texte mussten immer redigiert werden. Das wurde meine erste regelmäßige Aufgabe. Wenn sie schrieb »In Liebe Gluck«, musste ich ausbessern: »Glück in der Liebe.« Es war einfach. Nach einiger Zeit wurde ich kesser und schrieb »Die große Liebe ist nahe«. Bei »Glück in der Liebe«, dachte ich, denkt jeder Leser doch nur an Sex, aber bei »großer Liebe« vielleicht wirklich an Liebe. Und wenn diese nahe sei, dann würden diejenigen, die an das Horoskop glauben, vielleicht eine andere, eine größere Erwartung und stärkere Nervosität an diesem Tag verspüren.
    Madame Piroska hatte kein eigenes Zimmer, sie residierte an einem kleinen Tisch im fensterlosen Korridor hinter der Tür mit der Aufschrift »Fluchtweg«, der zu den Stiegen führte. Fluchtweg fand ich ein gutes Synonym für Horoskop. Der Korridor wurde allgemein »die Milchstraße« genannt, auch und nicht zuletzt wegen des enormen Busens von Madame Piroska. Verschwinde in die Milchstraße, sagte Prohaska zu mir, wenn er genervt war und meine geduldig devote Anwesenheit nicht mehr ertrug.
    Die Milchstraße war der einzige Raum, in dem kein Kleber verdampfte. Madame Piroska klebte nicht. Sie tippte ihr schrulliges Deutsch, gab ihren Bogen ab und überließ das Kleben dem Redakteur, der sie »übersetzte«. Sie rauchte wie ein Schlot. Damals wurde auch ich zum Kettenraucher, ich fand die Schwaden der Milchstraße wesentlich gesünder als die Kleberatmosphäre vor der Fluchttür.
    Ich mochte Piroska. Sie war die erste mollige Frau, bei der ich mir zumindest theoretisch vorstellen konnte, dass ein Mann begehrlich wurde. Ich traute ihr zu, einen Mann wegzuschnupfen wie Schnupftabak. Sie mochte mich auch. Sie bot mir an, mein persönliches Horoskop zu erstellen. Dazu musste sie nicht nur meinen Geburtstag und -ort wissen, sondern auch meine genaue Geburtsstunde.
    Ich rief meine Mutter an.
    Weißt du, wann ich zur Welt kam?
    Geht’s dir gut, Nathan?
    Ja, mir geht es gut. Sag, weißt du noch, wann ich da war?
    Nathan, hast du getrunken? Ich habe befürchtet, dass es nicht gutgeht, wenn dein Vater dich in die Redaktion nimmt. Er trinkt ja schon zu Mittag Champagner. Du darfst dir ihn nicht zum Vorbild nehmen.
    Mutter!
    Ich mache in der Nacht kein Auge zu. Ich schaukle und schaukle. Ich habe alles gemacht, damit aus dir was wird. Warum studierst du nicht fertig? Du bist so talentiert. Du hattest einen so guten

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