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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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Tuch aussuchen, das er selbst verwendete. Ununterbrochen warf der Schneider Stoffballen auf den Tisch, rollte ein, zwei Meter ab, übertrieben verzückt von der Qualität des Tuches. Bei Tageslicht, sagte er immer wieder, ich müsse den Stoff bei Tageslicht sehen, und er schleppte einen Ballen nach dem anderen hinaus auf die Straße, drehte und wendete genießerisch die Stoffe im Licht, hielt mir Stoffbahnen an. Ich schwitzte, wegen der Sonne, und weil ich eine Qualifikation zeigen sollte, die ich nicht hatte: Stoffe zu beurteilen. Diesen Stoff noch, sagte der Schneider, den müssen Sie noch sehen, bei Tageslicht, bei Tageslicht. Vater wurde ungeduldig. Die Stoffe wurden immer edler und teurer. Es ist für ihn, sagte Vater zur Klarstellung. Ich hatte Schweißflecken auf meinem Hemd. Der Schweiß wurde kalt, ich fror. Der wärmste und sonnigste Winter ist immer noch Winter. Der Schneider drückte mir den Stoff an, Passanten gingen vorbei, schauten, blinzelten. Mein Vater im Kamelhaarmantel. Sein kritischer Blick – galt er meinen Schweißflecken oder dem Stoff? Seine trockene Haut. Er verlor die Geduld. Griff in einen Stoff, ein günstiger Restposten, endlich der erlösende Satz: Der ist bestens!
    Dann stand ich da mit gespreizten Beinen und erhobenen Händen, als wollte ich mich ergeben – ich wollte nicht, ich tat es. Der Schneider nahm Maß.
    Mit Anzug und Krawatte ging ich dann jeden Morgen in die Redaktion, in der Sonne der neuen Epoche, die Menschen auf der Straße blinzelten, mir schien, als zwinkerten sie mir komplizenhaft zu, weil ich nun einer von ihnen geworden war, ein Erwachsener, in der Uniform der Berufstätigen.
    Vater hatte mich in der Zeitung in der Gesellschaftsredaktion unterbringen können. Aber er hatte zugleich dafür gesorgt, dass ich ihm nicht zu nahe komme. Drei Regeln, sagte er, wolle er mir mit auf den Weg geben. Als Student sei ich gescheitert, das sei bedauerlich, allerdings auch noch keine Katastrophe. Er sei ohnehin immer der Meinung gewesen, dass das Studium verlorene Zeit sei, aus dem Fenster geworfenes Geld. Sein Geld. Er habe ja immer gesagt: auf der Universität Publizistik zu studieren, sei ungefähr so sinnvoll, wie in der Sahara einen Schikurs zu machen. Nun aber, in meinem neuen Lebensabschnitt, könne ich es mir nicht leisten, wieder zu scheitern. Denn wer im Berufsleben scheitere, lande in der Gosse. Zum Glück habe er mir Starthilfe geben, einen Job verschaffen können. Nun müsse ich mich bewähren. Also: drei Regeln. Befolge sie, oder auch nicht. Aber ich müsse wissen: ab jetzt sei ich auf mich gestellt. Wenn ich die drei Regeln befolge, werde ich meinen Weg machen.
    Meinen Weg machen – mir war klar, was das hieß: Ich solle ihm nie mehr auf seinem Weg Probleme bereiten.
    Also erste Regel: Tu, was man dir sagt. Ein Arbeitsverhältnis ist immer ein Abhängigkeitsverhältnis. Stell dir vor, du hängst an Fäden. Wenn du die Fäden durchtrennst, sinkst du zu Boden. Wenn du andere Vorstellungen und eigene Ideen hast, dann bringe sie so vor, dass deine Vorgesetzten glauben, es seien ihre Ideen gewesen. Dann kannst du erst recht problemlos tun, was man dir sagt. Alles klar?
    Ich glaube schon.
    Gut. Regel zwei: Es gibt in der Gesellschaft keine Wahrheit. In den anderen Redaktionen, in der Außenpolitik, Innenpolitik, Kultur vielleicht. Aber nicht bei uns in der Gesellschaft. Hier stimmt auf jeden Fall der Satz: Wahr ist, was in der Zeitung steht. Genauer gesagt: wer in der Zeitung steht. Die anderen berichten Fakten, wir in der Gesellschaft produzieren sie. Hast du nicht Philosophie im Nebenfach studiert?
    Ja.
    Wer war der Philosoph, der dauernd über die Wahrheit nachgedacht hat?
    Das war jeder Philosoph.
    Egal. Jedenfalls: Wahrheit ist uninteressant. Worum es geht, ist die Realität. Alles klar?
    Ich glaube, ich verstehe, was du meinst.
    Gut. Regel drei. Du weißt, was ein Liebesdienst ist?
    Ja.
    Du weißt, was ein Geschäft ist?
    Ja.
    Du weißt, was ein Synonym ist?
    Ja.
    Alles klar?
    Nein.
    Wenn Liebesdienst und Geschäft kein Synonym sind, dann hast du einen Konflikt. In der Gesellschaft sind Konflikte schlecht für die Liebe und schlecht für das Geschäft. Das ist die einzige unwiderlegbare Wahrheit in deinem Job.
    Wir saßen in der Kantine der Redaktion, ich starrte auf das grellorange Tablett, auf dem die Kaffeetasse stand, das schaffe ich nie, dachte ich, so einverstanden zu sein mit meinem Glücken, so zu glücken durch mein Einverstandensein. Ich spürte den

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