Don Quichotte
anderem für die »Weltbühne«. 1927 fragte ihn die Witwe seines Verlegers, Edith Jacobsohn, ob er nicht Lust habe, für sie einen Kinderroman zu schreiben. Kästner hatte Lust, und 1928 erschien »Emil und die Detektive« und wurde ein unbeschreiblicher Erfolg. Kästner, der Lehrer, der sich einen Moralisten nannte, schrieb für Kinder, »ohne in die Kniebeuge zu gehen, weil Kinder erwiesenermaßen klein sind«. Er nahm sie ernst. Er wollte nicht, daß sie solche Erwachsene würden wie die, die er um sich sah: verlogen und verbogen. Deshalb malte er ihnen keine Welt in Rosa, in der allen Tugendhaften die Belohnung sicher ist. Er zeigte ihnen das Leben in der Großstadt mit allen Ungerechtigkeiten. Er traute ihnen zu, diesen Anblick zu ertragen. Er appellierte an die Kinder, sich nicht ducken zu lassen. Er forderte von ihnen Wahrhaftigkeit und mit Schicksalsschlägen und mit den verbiesterten Erwachsenen tapfer und aufrecht fertig zu werden. Und gleich im »Emil« machte er ihnen vor, was Freundschaft und Solidarität bedeuten. Ja, er war ein Moralist und hob den Zeigefinger und sagte den Kindern klipp und klar, was die Moral von der Geschieht war. Aber die Kinder verstanden und liebten ihn sofort.
Zwar begrüßten die Schergen der SS Erich Kästner 1934 beim ersten Verhör in der gefürchteten Prinz-AlbrechtStraße, dem Hauptquartier der Gestapo, mit dem Ruf: »Ach, da kommen ja Emil und die Detektive!«, doch seine Bücher waren schon 1933 verbrannt worden. Er erhielt Schreibverbot, aber nach dem Kriegsende begann er, der Satiriker und bitterböse Zeitdichter, mit ungebrochenem Optimismus erneut für Kinder zu schreiben. Er wußte, daß er keinen in der Wolle gefärbten Nazi wirklich ändern konnte. Deshalb richtete er seine ganze Kraft und Phantasie auf die Kinder und ihre Literatur. Er gehörte zu den Gründern des Internationalen Kuratoriums für das Jugendbuch, denn er sah in den Büchern die einzigen zuverlässigen Brücken der Verständigung zwischen den Nationen. Seine Bücher gehörten zu den besten: Sie wurden in fast alle Sprachen übersetzt, und so lernten zum Beispiel amerikanische Kinder mit »Emil« Deutsch.
Kästner hat nicht nur seine eigenen Schallplatten besprochen, sondern auch bei den Filmen nach seinen Kinderromanen die Drehbücher oder die Dialoge geschrieben. Er war ein Profi, und er wollte nur die beste Ware für die Kinder liefern. Die letzten Kinderromane schrieb er 1963 und 1967 für seinen Sohn Thomas: »Der kleine Mann« und »Der kleine Mann und die kleine Miss«. 1974 starb er in München, wo er seit 1946 gelebt hatte.
Während des Krieges war Kästner damit beauftragt worden, für die UFA das Drehbuch für den Film »Münchhausen« zu schreiben, und diese Arbeit hat ihn auf die alten deutschen Schwanke und Sagen aufmerksam gemacht. Später wandte er sich den klassischen Dichtungen zu, die seit ihrer Entstehung immer wieder nacherzählt werden. Dazu gehörte der Don Quichotte.
Der spanische Dichter Miguel Cervantes Saavedra hatte diese Abenteuer eines unzeitgemäßen Mannes aufgeschrieben und selber gesagt, sein Buch sei für Erwachsene ebenso wie für Kinder gedacht.
Cervantes’ »Don Quijote« erschien in zwei Bänden 1605 und 1615. Erich Kästner erzählte 1956 diese Geschichte des Traumritters neu, der nicht zwischen Phantasie und Wirklichkeit unterscheiden, sich von der Vergangenheit nicht lösen kann und ohne seinen praktischen, schlauen Diener verloren wäre. Kästner hat dieser Gegensatz und seine Komik gefallen, und er schilderte das Abenteurerpaar wie zwei Kinder, von denen das eine die Regeln der gegenwärtigen Welt noch gar nicht begriffen hat, während das andere, der Diener, nur immer treu und unerschütterlich dafür sorgen muß, daß seinem Herrn nicht mehr Unbill zustößt als nötig. Kästner wird darauf vertraut haben, daß selbst seine stark geraffte Fassung des Don Quichotte die Leser so anregt, daß sie später zu der vollständigen Ausgabe greifen werden.
Dr. Sybil Gräfin Schönfeldt
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