Don Quichotte
habe. Die anderen schworen in ihrer Herzensangst alles, was er hören wollte, und machten sich schleunigst aus dem Staube. Sie fuhren und ritten aber ganz und gar nicht nach Toboso, sondern nach Sevilla, ihrem Reiseziele.
Während Sancho Pansa Don Quichottes halbes Ohr mit Salbe bestrich und dann bandagierte, sagte er gutmütig: »Ritterschaft ist ein anstrengender Beruf, gnädiger Herr. Kämpfen Sie doch, bitte, etwas weniger als bisher! Ich brauche kein Königreich. Strengen Sie sich nicht so an! Eine Grafschaft mittlerer Größe genügt mir.«
DAS VERHEXTE WIRTSHAUS
Doch auch weiterhin litten sie an Abenteuern keinen Mangel. Wer sich einbildet, ein Ritter zu sein, obwohl es keine Ritter mehr gibt, der erlebt sein blaues Wunder an jeder Straßenecke. Einmal befreite Don Quichotte ein Dutzend gefesselter Galeerensträflinge, weil er sie für bedauernswerte und zu Unrecht verhaftete Bürgersleute hielt. Ein andermal, mitten in der Nacht, überfiel er, weil er ein dunkles Verbrechen vermutete, eine Schar frommer Mönche, die einen Sarg zum nächsten Friedhof trugen. Und wieder ein andres Mal verwechselte er eine Hammelherde mit feindlichen Truppen und spießte mit seiner Lanze sieben Schafe auf.
Wer Schläge austeilt, kriegt auch Schläge. Er und Sancho Pansa hatten überall gelbe, blaue und grüne Flecke. Sie hinkten und hatten Beulen. Und beiden zusammen fehlten neun Backenzähne. Auch Rosinante und der Esel waren strapaziert und ruhebedürftig. Und so beschloß man, ein paar Tage in einem Wirtshause zu bleiben, das am Weg lag. Auch diese Schenke hielt er für eine Burg! Und weil von der Decke seiner Kammer riesige Weinschläuche aus gegerbten Ochsenhäuten herabhingen, träumte er schon in der ersten Nacht, die Burg sei verzaubert und verhext, und Riesen und Zauberer kämen in die Kammer, um ihn umzubringen. Da packte er den Degen, der neben dem Bett lag, sprang mit einem Satz aus den Federn und hieb und stach auf die prallen Ochsenhäute ein, daß der Rotwein aus allen Löchern und Nähten spritzte. Sancho Pansa, der Wirt und ein paar Gäste wurden von dem Getöse geweckt, zündeten Kerzen an, gingen dem Lärme nach, rissen die Kammertür auf und erstarrten vor Schreck. Der Fußboden war rot. Der Ritter war rot. Sein Bett war rot. »Hilfe!« schrie Sancho Pansa. »Mein Herr wird ermordet!« Denn er und die Gäste glaubten, der rote Wein sei Blut. Nur der Wirt wußte es besser und begann zu zetern. »Mein schöner, guter, teurer Rotwein!« rief er wütend und wollte dem Ritter in den Arm fallen. Doch der focht wie der Teufel und stieß immer neue Löcher in die Weinschläuche. Erst als sie bis auf den letzten Tropfen leergelaufen waren, konnte man Don Quichotte mühsam zu Bett bringen. Während die Gäste in ihre Zimmer zurückgingen, sagte der eine: »Ich habe es deutlich gesehen — der Ritter kämpfte mit geschlossenen Augen! Vielleicht ist er ein Schlafwandler?« »Nicht daß ich wüßte«, gab Sancho Pansa zur Antwort. »Er war nur müde.« »Menschen, die müde sind, fechten nicht«, meinte ein andrer. Da sagte Sancho Pansa stolz: »Wir schon!« Der Wirt aber jammerte in seiner Stube, bis der Morgen graute.
DER RITTER ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE
Don Quichotte war davon nicht abzubringen, daß die Weinschläuche Riesen und Zauberer gewesen seien und daß er viel eher Lob als Vorwürfe verdiene. Schließlich gab Sancho Pansa dem Wirt für den vergossenen Rotwein heimlich ein paar Goldstücke, und somit waren alle zufrieden. Der Wirt hatte sein Geld. Der Ritter hatte seine Riesen und Zauberer. Und die Gäste hatten ihren Spaß. So waren alle damit einverstanden, als Don Quichotte am nächsten Abend verkündete, die Burg müsse des Nachts bewacht werden und er selber wolle die erste Nachtwache übernehmen. Er werde gut aufpassen, daß sich nicht neue Riesen und Zauberer ins Schloß schlichen, um die gestrigen zu rächen. Als es dunkel wurde, nahm er die Lanze, stieg aufs Pferd und postierte sich im Hof. Pferd und Reiter rührten sich nicht und sahen aus wie ein Denkmal. Als die anderen schliefen, kletterten Maritorne, das Dienstmädchen, und die Tochter des Wirts kichernd auf den Heuboden, dessen Luke zum Hof hinaus ging. Dann riefen sie Don Quichotte herbei und erzählten ihm, flüsternd und mit verstellter Stimme, eine abenteuerliche Geschichte. »Ich bin das Burgfräulein«, wisperte die Wirtstochter, »und, ach, Herr Ritter, ich liebe Euch!« »Der Burggraf, ihr strenger Vater, hat sie deshalb hier oben
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