Don Quixote
in unserm Dorfe, als meine Frau, meine Tochter und mein Schwager fortzogen?«
»Freilich war ich da«, antwortete Sancho, »und ich muß dir sagen, daß deine Tochter so schön war, daß alle Leute, die nur im Dorfe waren, herkamen, sie zu sehen, und alle sagten, sie sei die schönste Kreatur auf der Welt. Sie weinte und umarmte alle ihre Freundinnen und Bekannte und alle, die gekommen waren, sie zu sehen, sie bat alle, sie möchten sie dem Herrn und seiner heiligen Mutter empfehlen; und das sagte sie mit solcher Rührung, daß sie mich zu weinen machte, ob ich gleich nicht leicht zum Weinen zu bringen bin. Und wahrhaftig, viele wollten sie verstecken oder auf dem Wege wieder wegnehmen; nur die Furcht, wider den Befehl des Königs zu handeln, hielt sie zurück; am meisten war Don Pedro Gregorio von ihr eingenommen, der reiche, vornehme Majoratsherr, den du kennst, man sagt, daß er sie sehr liebt, auch hat er sich nicht, seit sie weg ist, in unserm Dorfe sehen lassen, und wir alle glauben, daß er ihr nachgegangen ist, um sie zu entführen; bis jetzt aber haben wir noch nichts davon gehört.«
»Den Verdacht habe ich immer gehabt«, sagte Ricote, »daß dieser Ritter in meine Tochter verliebt sei; aber ich habe mich auf die Tugend meiner Ricota verlassen und mich nie darüber gegrämt, daß er sie liebte; du wirst wissen, Sancho, daß sich die Morisken selten oder niemals in Liebe mit den alten Christen einlassen, und meine Tochter, wie ich glaube, sorgt mehr dafür, eine Christin als eine Verliebte zu sein, und wird sich nicht um die Bewerbungen dieses Majoratsherrn kümmern.«
»Das gebe Gott«, versetzte Sancho, »denn es würde für beide nicht taugen, jetzt aber laß mich fort, Freund Ricote, denn ich will noch heute abend zu meinem Herrn Don Quixote.«
»Gott sei mit dir, Freund Sancho, meine Kameraden rühren sich schon, und es ist auch Zeit, daß wir unsern Weg fortsetzen.« Beide umarmten sich, Sancho bestieg seinen Grauen, Ricote nahm seinen Pilgerstab, und sie schieden voneinander.
3. [55.] KAPITEL
Von Sachen, die dem Sancho auf dem Wege begegneten,
nebst andern, wie man sie nur wünschen kann
Weil sich Sancho mit dem Ricote aufgehalten hatte, so war es ihm nicht möglich, noch an dem nämlichen Tage das Schloß des Herzogs zu erreichen, sondern als er noch eine halbe Meile davon entfernt war, überfiel ihn die Nacht mit ziemlicher Dunkelheit. Da es Sommer war, machte sich Sancho nicht viel daraus; er entfernte sich daher vom Wege, in der Absicht, den Morgen zu erwarten; sein schlimmes und unfreundliches Schicksal aber wollte, daß, als er einen Ort suchte, wo er sich bequemer einrichten könnte, er und sein Grauer in einen tiefen und sehr dunkeln Graben fielen, der sich bei einigen alten Gebäuden befand, und indem er hinabfiel, empfahl er sich Gott von ganzem Herzen, denn er dachte nicht anders, als daß er zu den Abgründen der Unterwelt hinabstürzen würde; es war aber nicht so, denn nach etwas mehr als drei Klaftern fand der Graue Grund, und er lag auf ihm, ohne eine Verletzung oder einen andern Schaden bekommen zu haben. Er befühlte seinen ganzen Leib und hielt den Atem an, um zu sehen, ob er heil oder ob ein Teil verwundet sei; da er aber sah, daß er wacker, ganz und durchaus vollständig war, dankte er Gott dem Herrn für diese erzeigte Gnade, denn er hatte geglaubt, daß er gewiß in tausend Stücke brechen werde. Er befühlte auch mit den Händen die Wände der Grube, um zu sehen, ob es nicht möglich sei, ohne fremde Hülfe herauszusteigen, aber er fand sie ganz glatt und völlig steil, worüber sich Sancho sehr betrübte, vorzüglich als er hörte, wie sich der Graue äußerst schmerzlich und rührend beklagte; welches auch nicht zu verwundern war, dieser es auch nicht ohne Ursach tat, denn er war wirklich übel zugerichtet. »Ach!« sagte hierauf Sancho Pansa, »wie viele unvermutete Zufälle begegnen doch auf jedem Schritte denjenigen, die in dieser erbärmlichen Welt leben! Wer hätte wohl sagen sollen, daß der, den man gestern noch als Statthalter einer Insel thronen sah, der seinen Dienern und seinen Vasallen Befehle gab, daß dieser heute in einem Loche begraben sein sollte, ohne einen Menschen zu haben, der ihm hilft, weder einen Diener noch Vasallen, der zu seinem Beistande herzukäme? Hier werden wir nun vor Hunger sterben müssen, ich und mein Esel, wenn wir nicht schon vorher sterben, er, von dem Falle zerschlagen, und ich aus Traurigkeit. Wenigstens wird es mir nicht
Weitere Kostenlose Bücher