Donaugrund (German Edition)
vorgeschlagen, mal wieder ein bisschen Party zu machen? Andererseits würde das weder sein Problem lösen, noch fand er den Gedanken an die klassische Regensburger Party-Einheitsmusik und eine Horde feierwütiger Zwanzigjähriger besonders reizvoll.
»Frischfleisch«, fügte Moritz grinsend hinzu.
Tatsächlich brachte das die Entscheidung. »Kein Interesse«, antwortete Raphael und hob die Hand mit der Zigarette. »Aber danke.«
Als er endlich vor dem Eingang der Dienststelle stand und einen ersten tiefen Zug inhalierte, breitete sich wieder ein wenig Ruhe in ihm aus. Er wollte Sarah nicht gehen lassen, und kampflos schon gar nicht. Aber es musste doch irgendeine Lösung geben, mit der verdammt noch mal alle leben konnten, oder?
Dass die Distanz zwischen Regensburg und München auf die Dauer zu groß war, um eine Beziehung zu führen, lag für Raphael genauso auf der Hand wie für Sarah, auch wenn sie darüber nicht explizit gesprochen hatten. Die Entfernung war zu groß, um zu pendeln, beide Jobs bedeuteten häufig genug erheblich mehr Arbeitszeit als eine schnöde Vierzig-Stunden-Woche, und die Anzahl der gemeinsamen freien Tage würde sich wohl irgendwo zwischen null und Nicht-der-Rede-wert einpendeln. Insgeheim wussten sie beide, dass das auf die Dauer einfach zu wenig war. Aber wenn er …
Zum ersten Mal ließ Raphael den Gedanken zu, den er seit dem Wochenende konsequent wegschob. München. Konnte er sich vorstellen, wieder zurückzukehren?
Wenn er ehrlich zu sich selbst war: ja. Seine Eltern und ein großer Teil seiner Freunde lebten dort, er war in München aufgewachsen, kannte die Stadt in- und auswendig und hatte sich immer wohlgefühlt. Bis … Ja, er hatte dort auch die schlimmste Zeit seines Lebens verbracht. Aber irgendwie hatte der Gedanke daran in den letzten Monaten seinen Schrecken verloren. Wenn er sich an Isa erinnerte, versetzte es ihm immer noch einen Stich, aber er hatte ihren Tod endlich akzeptiert. Und er hatte aufgehört, sich selbst deswegen zu bedauern.
Herzlichen Glückwunsch, Jordan. Jetzt bedauerst du dich wegen Sarah. Das ist natürlich viel besser.
Aber was würde Sarah zu diesem Vorschlag sagen? Wo er es doch noch nicht einmal wagte, ihr endlich seinen Wohnungsschlüssel in die Hand zu drücken, aus Angst davor, dass sie sich dann wieder bedrängt fühlte und in Panik ausbrach. Dabei hätte er das am liebsten schon längst getan, nicht nur wegen ihres chronischen Zuspätkommens. Aber solange sich die Abwehr in ihren Augen abzeichnete, wenn es bloß darum ging, seine Eltern kennenzulernen, war das wahrscheinlich keine gute Idee. Und dann ein gemeinsamer Umzug nach München? Undenkbar.
Vielleicht mit getrennten Wohnungen? Dieser Super-Hecht von Makler, den Sarahs Vater da an der Hand hatte, konnte trotz Immobilienknappheit und Wuchermieten bestimmt auch, locker-flockig aus der Hüfte schießend, zwei bezahlbare Wohnungen in München auftreiben, dachte Raphael bitter. Auch wenn er im Gegensatz zu Sarah die Provision wohl selbst bezahlen musste.
Mit geschlossenen Augen lehnte Raphael sich an die kalte Hauswand. Warum nur war das alles so kompliziert? Im Alltag, egal ob vor den Kollegen, ihren Freunden oder ihrer Familie, ließ Sarah doch keinen Zweifel daran, dass sie ihn liebte. Dass sie glücklich mit ihm war. Und dass sie zu ihm gehörte. Aber sobald es darum ging, ihn wirklich in ihr Leben mit einzubeziehen, ein bisschen weiter in die gemeinsame Zukunft zu planen als nur bis zum nächsten Wochenende, kränkte sie ihn ein ums andere Mal. Raphael verstand es einfach nicht, sosehr er sich auch darum bemühte. War das die Bindungsangst der langjährigen Singlefrau? Die übermäßige Vorsicht des Scheidungskindes? Oder nur eine ganz persönliche Sarah-Macke?
Oder war vielleicht sogar er derjenige, der eine Macke hatte? Jagte er jetzt, endlich wieder verliebt, so verzweifelt der Situation nach, in der er vor ein paar Jahren schon einmal gewesen war – glücklich liiert, werdender Vater, fast verheiratet –, dass er jegliches Gefühl für ein angebrachtes Tempo verloren hatte?
Wahrscheinlich lag die Wahrheit, wie so oft, irgendwo dazwischen.
Raphael drückte die Zigarette aus. Die Aussicht darauf, König über die bevorstehende Gegenüberstellung informieren zu müssen, hob seine Laune kein bisschen.
* * *
»Guten Morgen!« André lächelte Celia fröhlich entgegen, als sie wie gerädert das Büro betrat.
Ein bisschen zu fröhlich für die Schrecken des gestrigen
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