Donaugrund (German Edition)
die Arbeit doch wirklich vor.« Sie schluckte. Jans Tod fühlte sich immer noch unwirklich an, auch wenn der Schock etwas nachgelassen hatte. Sie konnte nicht mehr weinen, war einfach nur fassungslos. Wie zum Teufel konnte ein gesunder Mann wie Jan einfach so in die Donau fallen und ertrinken?
»Mich erstaunt eher das kleine Wörtchen ›offen‹.« André grinste spöttisch. »Aber vielleicht ist das ja die neue Firmenphilosophie, jetzt, wo –« Er brach ab. »Ach, war nur Quatsch. Vergiss es.«
»Jetzt, wo Jan tot ist, wolltest du sagen?« Dieser Gedanke war ihr tatsächlich noch nie gekommen. »Glaubst du wirklich? Glaubst du, dass Jan für alles verantwortlich war, was hier schiefläuft?«
André wich ihrem Blick aus. »Ich weiß es nicht, Celi … Mir erschien eben Jan immer als der Durchsetzungsstärkere der beiden.« Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: »Aber das müsstest du doch besser beurteilen können als ich.«
Celia erschrak. Hatte André gerade schnippisch geklungen, oder sah sie schon Gespenster? Und bildete sie sich das ein, oder häuften sich in letzter Zeit die seltsamen Andeutungen, was sie und Jan anging? Aber sie waren vorsichtig gewesen … Es konnte doch niemand davon wissen. Oder? »Wie meinst du das?«, fragte sie möglichst beiläufig.
»Nur so«, sagte André ausweichend. »Du hast ja enger mit ihm zusammengearbeitet als ich.«
Weshalb musterte André sie so prüfend? »So eng nun auch wieder nicht«, wiegelte Celia ab.
Für einen Augenblick sah André sie ausdruckslos an, dann wandte er sich wieder seinem Monitor zu und überließ Celia ihren Grübeleien.
* * *
»Dann schnappen wir uns also diesen Wollenschläger zuerst?«, fragte Moritz und sprang halb aus seinem Stuhl vor Eifer. Mangelnde Motivation konnte man ihm echt nicht vorwerfen.
»Ja, das würde ich vorschlagen«, antwortete Raphael. »Also, das heißt: Sarah und ich schnappen uns den Wollenschläger. Du kannst dich in der Zwischenzeit in Wahlners Büro umsehen und anfangen, die Unterlagen, von denen die Geier gesprochen hat, zu sortieren oder, je nach Umfang, zu prüfen. Sobald du das Gefühl hast, da gab’s irgendwo Spannungen oder Streitigkeiten … Na, weißt du ja.«
Moritz zog einen Flunsch, war aber schlau genug, keinen Einspruch zu erheben. Folgsam trollte er sich, während Raphael sich erneut durch die Fotos klickte, die Moritz als besonders interessant erachtet hatte. Sie zeigten Wahlner mit durchwegs intaktem Hemd im Gespräch mit verschiedenen Mitarbeitern, allerdings nur im Salzstadel – auf den zu späterer Stunde in der Karmalounge entstandenen Fotos war er nicht zu sehen, aber das wunderte mich nicht. Ich glaubte nicht daran, dass er dort noch zugegen gewesen war.
Die meisten der Aufnahmen zeugten von einem fröhlichen und gelösten Jan Wahlner, der keineswegs so wirkte, als hätte er irgendeine Vorahnung gehabt, was sein baldiges Ableben anging. Nur auf zwei Fotos war die Stimmung deutlich angespannter: Jan Wahlner und der glatzköpfige Leo Wollenschläger standen an der Bar, in ein Gespräch vertieft. Auf dem ersten Bild redete Wollenschläger, er sah wütend aus, während Wahlner die Stirn kritisch gefurcht hatte. Auf dem zweiten Bild kehrte sich die Situation um: Wahlner sprach unter Zuhilfenahme gestikulierender Hände, Wollenschläger starrte ihn verärgert an. Auf dem dritten Bild der Serie hatten die Herren anscheinend bemerkt, dass die Kamera auf sie gerichtet gewesen war: Einträchtig grinsend winkten sie dem Fotografen zu.
»Mal sehen, ob er damit rausrückt, was da so verbissen diskutiert wurde. Wir sollten außerdem rausfinden, von wem diese Fotos stammen – vielleicht hat der Fotograf ja etwas mitbekommen.«
Raphael nickte, klickte dann aber weiter, bis er bei einem Foto angelangt war, das anscheinend zu weitaus späterer Stunde in der Karmalounge entstanden war: Simone Geier stand mit hochrotem Kopf neben Sascha Hoyer an einem Stehtisch. Im Gegensatz zu den anderen weiblichen Mitarbeiterinnen, die durch die Bank in Kleidchen – in allen Abstufungen von neckisch bis elegant – gekleidet waren, trug sie einen schlichten grauen Hosenanzug. Ebenso wie Hoyer betrachtete sie die ausgelassene Kollegenmeute auf der Tanzfläche. Hoyer lächelte, Simone Geier hingegen trank gierig aus dem Glas an ihren Lippen, ihre Augen leuchteten in bester Dracula-Manier. Die hatte aber auch ein verdammtes Pech.
»Zu ihrer Entschuldigung könnte man vorbringen, dass sie wohl wirklich nicht
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