Donaugrund (German Edition)
gerade nüchtern war«, sagte Raphael grinsend.
»Du bist ein arroganter Fatzke, echt wahr. Die kann doch auch nichts dafür.« Ich schlug das Notizbuch auf, das ich mir vor Kurzem zugelegt hatte und das von Raphael mit sanftem Spott »Sarahs Kuriositätensammlung« genannt wurde. Hierin notierte ich alles, was bei Ermittlungen in den sachlichen Aktennotizen keinen Platz fand: subjektive Eindrücke, alles, was mit dem sprichwörtlichen Bauchgefühl zu tun hatte, manchmal auch nur das eine oder andere Vorurteil oder Gedankenspinnereien und Zusammenhänge, die sich kein logisch denkender Mensch so zusammenreimen würde. Ich war mir noch nicht sicher, ob ich dieses Vorgehen wirklich nützlich fand, aber da sogar Raphael darauf beharrte, es zu versuchen – vielleicht als Ausgleich zu seinem eigenen eher rationalen Ansatz –, hatte ich einen Versuch gewagt. Im Moment war die Aussagekraft meiner Einträge allerdings eher mau.
» Simone Geier« , notierte ich. Und dann: »Präsentationen, Termine, Geschäftsreisen für J. W. und S. H., reagiert sehr schockiert auf W.s Tod.« Einen Augenblick dachte ich nach, dann kritzelte ich weiter: »Zusätzlich auch noch eigene Projekte – Workaholic? Seltsamer Kommentar über Verhältnis Opfer und C. Kleingrün – was will sie andeuten? Unstimmigkeiten zwischen den Geschäftsführern bzgl. Zukunft von HEUREKA ? – Hoyer fragen!«
Von wegen Intuition und subjektive Eindrücke. Das las sich eher wie die Gedankenstützen einer Siebzigjährigen. Aber sei’s drum – nicht jeder Versuch konnte schließlich zum Erfolg führen. Entschieden klappte ich das Notizbuch zu und legte es zur Seite.
»Und weshalb sollten Jan und ich Ihrer Meinung nach diskutiert haben?« Leo Wollenschläger sah Raphael mit blasiertem Gesichtsausdruck an und widmete sich dann mit mäßigem Interesse der Inspektion seiner Fingernägel. Alle zehn waren komplett abgefressen – ich an seiner Stelle hätte sie lieber ignoriert in der Hoffnung, dass alle anderen es auch täten. Sein kahler Kopf glänzte und stand in aberwitzigem Kontrast zu den buschigen Augenbrauen über eisblauen Augen, sein makelloser Anzug wies kein Stäubchen auf, und im Gegensatz zu allen anderen männlichen Belegschaftsmitgliedern trug er sogar Krawatte. Sympathischer machte ihn das aber leider auch nicht.
»Genau das wollen wir von Ihnen wissen, Herr Wollenschläger.« Raphael funkelte ihn an, ich hingegen hielt mich vornehm zurück. Das war eindeutig ein Fall für Jordan, nicht für zwei.
»Hören Sie, ich habe für so was keine Zeit.« Wollenschläger schnaufte ungehalten. »Wir hatten keine Auseinandersetzung, und ich weiß nicht, was Sie sich da zusammenphantasieren. Kann ich jetzt gehen?«
»Nein.« Raphael erhob sich halb und klappte den Laptop auf. Sofort erschien das Foto von Wahlner und Wollenschläger auf dem Bildschirm.
Wollenschläger betrachtete es einen Moment, sah sich dann anscheinend überführt und seufzte. »Ja, na gut. Wir sind eben ab und an aneinandergeraten, wie es sich für zwei Leader gehört.« Abschätzend musterte er Raphael, wohl um zu prüfen, ob sich dieser auch in die Alphamännchenriege einsortieren ließ. »Was dagegen?«
»Mitnichten«, antwortete Raphael cool.
Ich hingegen schrieb unter Wollenschlägers Namen ein äußerst undamenhaftes » ARSCHLOCH« in mein Notizbuch. In Großbuchstaben. Nicht dass uns das jetzt weiterbrachte; ich fand es nur irgendwie befreiend.
»Wenn Sie jetzt noch erzählen«, fuhr Raphael fort. »worum es ging, können Sie auch gerne wieder an die Arbeit gehen – oder was man sonst so als Leader macht. Andernfalls sitzen wir halt hier rum.« Er musterte nun seinerseits interessiert seine Fingernägel, die eindeutig in besserer Verfassung waren als Wollenschlägers. Punkt für Raphael.
Trotzdem entschloss ich mich, Wollenschläger eine Vorlage zu liefern. »Könnte es sein, dass es dabei um Frau Kleingrün ging?«
Allein die Erwähnung ihres Namens zauberte ihm noch mehr Ablehnung auf die kantigen Züge. »Möglich.«
Wie aus dem Nichts donnerte Raphaels Hand auf den Tisch. »Jetzt spucken Sie’s schon aus, verdammt noch mal!«
Ich war genauso zusammengezuckt wie Wollenschläger, aber erfahrungsgemäß half diese etwas brachiale Aufforderung oftmals, besonders verstockte Gesprächspartner zum Reden zu bringen. So auch dieses Mal.
»Na gut … Ich halte nicht viel von Celia. Hübsche Fassade, aber nichts dahinter. Außerdem ist sie stinkfaul und nicht gerade
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