Donaugrund (German Edition)
erfolgte Kündigung gar nicht erst in Frage zu stellen. Eine mehrjährige Tätigkeit bei HEUREKA härtete wohl ab.
»War Herr Hansen denn auf der Weihnachtsfeier?«, fragte Raphael.
»Nein, der ist schon seit Oktober weg«, antwortete Celia. »Aber vielleicht hat er Jan ja aufgelauert? Er hatte nämlich irgendwie etwas sehr Seltsames an sich … Er hat nie gelacht, war sehr verbissen und humorlos … Nicht gerade gesellig. Und mit der Zeit wurde das immer schlimmer.«
»Kein Wunder, wenn die eigene Tochter an Leukämie erkrankt, oder?«, fragte Raphael, und ich dankte ihm im Stillen.
»Ach so, ja. Stimmt«, antwortete Celia und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
Hatte sie das wirklich noch nicht bedacht? Ich konnte es kaum glauben. Dieser Hansen schien ja wirklich ein armes Schwein zu sein. Mitgefühl und Verständnis waren anscheinend nicht gerade Celia Kleingrüns Stärken.
»Endlich Feierabend.« Raphael streckte mir die Hand entgegen, und ich übergab ihm feierlich die Schachtel Lucky Strike. Mit einem seligen Grinsen steckte er sich in Rekordgeschwindigkeit eine Fluppe an, inhalierte genussvoll, winkte Moritz hinterher, der, von Wahlners Aktenbergen völlig erschlagen, wankend den schummrig beleuchteten HEUREKA -Parkplatz verließ und zu Wiederbelebungszwecken den Fußweg in die nächste Kneipe antrat, und lehnte sich erschöpft an den Wagen.
»Soll Herbert trotzdem mal das Alibi von diesem Hansen prüfen?«, fragte ich und starrte den Atemwölkchen hinterher, die gut sichtbar aus meinem Mund in die klirrende Abendkälte aufstiegen.
Raphael nickte. »Vielleicht wusste er ja Datum und Ort der Weihnachtsfeier. Und bevor wir uns später Ermittlungsfehler vorwerfen lassen müssen …« Er streckte die freie Hand nach mir aus und zog mich an sich. »Morgen dann. Herbert hat garantiert schon längst Feierabend gemacht.«
Als die Lichter des Mercedes neben uns aufleuchteten, löste ich mich von Raphael, stolperte – und schrie im nächsten Moment auf, als ich auf etwas Großes, Unförmiges trat, das unter meinem Gewicht schließlich nachgab und knackte. Schon im nächsten Moment schüttelte es mich vor Grauen, während mich die steif gefrorene Taube, deren Kopf ich mit meinem beherzten Schritt zur Seite eingedellt hatte, aus mit einer Eisschicht überzogenen Knopfaugen anstarrte. Ihr Gefieder schimmerte im fahlen Licht und erinnerte mich an Wahlners vom Eiswasser glänzende Goretex-Jacke.
Raphael sah mit einer Mischung aus Ekel und Mitleid auf den Vogel; Leo Wollenschläger, von meinem Schreckensschrei angelockt, schwenkte vom Kurs zu seinem Mercedes ab und spähte an mir vorbei auf den Boden. »Ja, im Winter regnet’s hier Tauben«, sagte er ungerührt. »Die verletzen sich da oben an den Spikes.« Er deutete auf die Dachkante des HEUREKA -Gebäudes. »Und dann erfrieren sie, und der Hausmeister darf die Leichen einsammeln. Ein bisschen wie Ihr Job, oder?« Mit einem fiesen Grinsen stieg er in seinen protzigen Schlitten und schlug die Tür zu.
»Pissnelke.« Ungerührt zog Raphael ein letztes Mal an seiner Zigarette, schnippte sie in den Schnee und bugsierte die Taube vorsichtig mit den Spitzen seiner Sneakers an die Hausmauer. »Armes Tier.«
»Und ich bin ihr auch noch auf den Kopf getreten.« Wieder schüttelte es mich.
»Das hat ihr nicht mehr wehgetan.« Raphael stupste mich grinsend an und öffnete die Autotür. »Soll ich dich noch schnell heimfahren?«
»Nein, danke. Ich brauche ein bisschen Frischluft.« Tatsächlich freute ich mich nach diesem Tag in überheizten, künstlich beleuchteten Büroräumen ausnahmsweise auf den Heimweg durch die klare Winterluft und die nächtlich beleuchtete Stadt. Und auf die Stille, darauf, eine Weile nicht reden zu müssen, während Raphael zwecks Beibehaltung des Jordan’schen Optimalkörpers die Geräte im Fitnessstudio seines Vertrauens malträtierte.
»Ich bring uns später was zu essen mit«, sagte er, küsste mich und stieg ein.
»Super. Und zerr dir nichts.«
Er verdrehte die Augen, wie immer bei meinen eher sportfeindlichen Ermahnungen. Dabei setzte ich selbst heute erstmalig seit Wochen mit meinem Yogakurs aus, nachdem meine leicht zu begeisternde Freundin Nicole mir kürzlich mitgeteilt hatte, dass Yoga jetzt endgültig völlig out sei und wir dringend – kommenden Samstag – auf den Zumba-Zug aufspringen müssten, bevor er endgültig abfuhr. Und einmal Sport pro Woche reichte doch nun wirklich aus.
Die Hände in den
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