Donaugrund (German Edition)
Anoraktaschen vergraben, den Kragen hochgeschlagen, schlenderte ich schließlich am Dom vorbei, dessen Lichter in der Kälte flimmerten. Am Alten Kornmarkt kam mir eine gebückte Gestalt entgegen, die ich unter ihrer roten Wollmütze erst erkannte, als sie mich ansprach und rabiat mit den Tüten in ihren Händen wedelte. »Brauchen S’ noch gelbe Rüben? Ein paar hätt ich noch.« Die Reibeisenstimme des alten Mannes zeugte davon, wie sehr seine Gesundheit unter den frostigen Temperaturen litt.
»Nein danke«, antwortete ich freundlich, aber bestimmt. Der Herr war stadtbekannt dafür, harmlosen Passanten auf dem Gehweg alles andere als taufrisches Gemüse anzudrehen – das merkten die meisten bloß leider erst zu Hause. Heute ging er ausnahmsweise widerspruchslos weiter, schniefte nur kurz und sortierte mich gedanklich wohl nicht zum ersten Mal bei denjenigen ein, die seine Masche kannten. Und plötzlich, ohne dass ich sie aufhalten konnte, schossen mir die Tränen in die Augen. Wollte ich all das wirklich hinter mir lassen? Ich liebte diese Stadt, und die Jahre fernab davon, während meiner Ausbildung an der Akademie in Sulzbach-Rosenberg und der anschließenden zwei Jahre bei der Streife in Nürnberg, waren nicht gerade die glücklichsten meines Lebens gewesen.
Als ich in die Ostengasse einbog, die mit ihren etwas heruntergekommenen, aber nicht minder charmanten Stadthäusern schmal und schnurgerade auf das Ostentor zuführte, und mir die Besitzerin des Sex-Shops wie immer freundlich zuwinkte, war es endgültig so weit: Ich fing an zu heulen und kramte schnell nach einem Taschentuch.
Das alles aufgeben – nur für einen tollen Job?
Endlich gestand ich mir ein, dass ich über kurz oder lang zu irgendeinem Ergebnis kommen musste; daran führte kein Weg vorbei. Sarah, stell dich nicht so an! Einfach aussitzen gilt nicht! Der Gedanke daran holte mich ohnehin zuverlässig ein. Es blieb mir nichts anderes übrig: Ich musste endlich mit jemandem darüber reden.
»Ja, trotzdem danke, Mama. Schönen Abend dir noch!« Schwunglos legte ich auf und hob den Hörer sofort wieder ab. Wenn doch nur endlich Hannes erreichbar wäre!
Keiner meiner bisherigen Kandidaten schien das Problem, das mit diesem Jobangebot einherging, auch nur ansatzweise zu begreifen. Weder meine kleine Schwester Anna (»Überleg dir das doch einfach in Ruhe und mach dann, was du für richtig hältst!« – »Aha. Super-Tipp. Vielen Dank.«) noch meine Freundin Linda (»Mensch, Sarah, das klingt superklasse! Du wärst ein Idiot, wenn du diesen Job nicht annehmen würdest!« – »Aber dann müsste ich nach München ziehen …« – »Stimmt. Das ist natürlich blöd. Ach, ich weiß auch nicht … Mist, mein Nudelwasser kocht über! Ich meld mich wieder …«) hatten mich mit ihren Ratschlägen weitergebracht, und meine Mutter hatte dem Fass den Boden ausgeschlagen. »Kind, diese Entscheidung kann ich dir nicht abnehmen, dafür ist sie viel zu wichtig. Das wird doch dein ganzes restliches Leben maßgeblich beeinflussen!!!«, hallte ihre Stimme in meinen Ohren nach.
»Danke, Mama. Das hätte ich beinahe vergessen«, hatte ich geantwortet, was prompt mütterliche Panik nach sich gezogen hatte: »Um Himmels willen, nimm das bloß nicht auf die leichte Schulter! Aber du machst das schon richtig, da bin ich mir sicher.«
Zum ungefähr zehnten Mal an diesem Abend wählte ich Hannes’ Nummer und hoffte, dass er das schon eine gute Stunde andauernde Telefonat – vermutlich mit seinem neuen Lover Felix, der praktischerweise direkt um die Ecke, nämlich in Hamburg, wohnte – endlich beendet hatte. Und tatsächlich hatte ich dieses Mal Glück.
»Hallo, Schätzchen, hast du’s schon mal versucht?«, tönte es mir aus dem Hörer entgegen. »Ich habe nämlich mit Felix telefoniert. Hach, diese Sehnsucht bringt mich irgendwann noch um! Fernbeziehungen sind beschissen, ganz ehrlich. So was kann doch langfristig gar nicht gut gehen«, machte er seinem Frust Luft. »Da hast du wirklich ein Riesenglück, Schätzchen. Und, bei dir alles paletti?« Beim Fettnäpfchen-Bingo war Hannes schon immer stark gewesen.
»Abgesehen davon, dass ich vor der Entscheidung stehe, ob ich in Zukunft auch so eine beschissene Fernbeziehung führen will, ist alles bestens«, antwortete ich spröde.
»Was? Du willst mich verlassen?«, fragte Hannes hörbar schockiert.
»Äh … Ja, das auch. Vielleicht. Ich weiß es nicht«, seufzte ich. »Mist, verdammter!«
»Okay, jetzt bitte
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