Donaugrund (German Edition)
Trotz aller geschäftlichen Querelen haben Jan und ich uns gut verstanden und vor allen Dingen respektiert. Und es ist nicht meine Art, lautstark zu streiten, handgreiflich zu werden oder gar einen Menschen zu töten.« Offen erwiderte er Raphaels Blick. »Wir hatten an diesem Abend keine Auseinandersetzung, bitte glauben Sie mir. Ich habe nichts mit Jans Tod zu tun. Vor allem …« Er kratzte sich nachdenklich am Kopf.
»Ja?«
»Um ehrlich zu sein, bin ich nicht besonders glücklich darüber, jetzt auf Jan verzichten zu müssen. Er hat sich um den ganzen Kram gekümmert, den ich nicht beherrsche: die Finanzen, die Kunden, den leidigen Personalkram …« Er seufzte schwer. »Ehrlich gesagt überfordert mich das ganz schön.« Er sah mir beschämt, aber mit aufrichtigem Blick in die Augen.
»Nun gut«, sagte Raphael, und auch ich nickte. Mir hatten schon zu viele Leute ins Gesicht gelogen, um ihm uneingeschränkt zu glauben, aber im Augenblick war ich geneigt, mich milde stimmen zu lassen. Das führte aber unweigerlich zur nächsten Frage.
»Wer dann?«
Er zuckte die Achseln. »Ich hoffe, Sie verstehen, dass ich meine Mitarbeiter nicht einfach so in Misskredit bringen kann. Es gab sicher einige, die auf Jan manchmal nicht gut zu sprechen waren. Leo Wollenschläger zum Beispiel, dessen Job wegen Jans Plänen auf der Kippe stand. Oder eben ich, weil ich gegen die Expansion und Leos Entlassung war. Oder Jessica Egerjahn, weil sie sein bevorzugtes Opfer war, wenn Jan wieder mal einen cholerischen Anfall hatte.« Er schnappte kurz nach Luft, redete aber sofort weiter. »Oder Simone Geier, weil Jan lieber Celia Kleingrün auf Geschäftsreisen mitgenommen hat.« Er zwinkerte gleichermaßen anzüglich wie missbilligend.
Waren die Gerüchte um diese Affäre also auch bis zu Hoyer durchgedrungen? Das war interessant – schließlich war Hoyer nicht nur ein Freund des Opfers gewesen, sondern stand auch in engem Kontakt mit Wahlners betrogener Ehefrau.
»Oder Carola Bloch und Michael Gerlach«, fuhr Hoyer ungebremst fort, und ich überlegte schon, ob es Sinn hatte, schnell noch eine Tasse Kaffee zu holen. Wollte Hoyer jetzt jedes einzelne Mitglied der Belegschaft und dessen mögliche Motive aufzählen, würden wir noch eine Weile hier sitzen.
»Diese beiden mussten nämlich permanent mit dem Druck umgehen, die von Jan gesteckten Vorgaben zu erreichen.« Wieder schnaufte er laut, beinahe erschöpft, bevor er endlich sagte: »Und das waren jetzt nur die Leute aus dem direkten Umkreis! Wer von den anderen Angestellten noch eine heimliche oder auch offene Abneigung hatte oder sich von Jan auf den Schlips getreten fühlte, weiß ich nicht.« Er verstummte und senkte die Augen. »Von den meisten weiß ich noch nicht mal die Namen.«
»Flache Hierarchie und familiäre Atmosphäre«, stänkerte Raphael gutmütig, und Hoyer zuckte verlegen die Achseln.
»Sie wussten also von Herrn Wahlners Affäre mit Celia Kleingrün?«, fragte ich.
»Ach, weiß man das jetzt sicher?« Hoyer warf mir einen Blick der Marke »Hab ich mir’s doch gleich gedacht« zu. »Das wurde ja schon länger vermutet. Ich habe ihn aber nicht danach gefragt, da wollte ich mich raushalten.«
»Haben Sie Beate Wahlner von dieser Vermutung erzählt?«
Hoyer stutzte, dann lächelte er. »Das war nicht nötig. Die Vermutung stammt von ihr.«
»Ach?«, kam es verwirrt über meine Lippen.
Hoyer nickte. »Ja. Die beiden führen schon seit einiger Zeit eine offene Ehe. Bea wusste nur nicht sicher, wer die Glückliche ist.«
* * *
So langsam verstand Raphael die Welt nicht mehr. Inzwischen war es halb zwölf Uhr nachts, Sarah lag an seine Brust gekuschelt, streichelte mechanisch über seine Hüfte und lächelte ihn alle paar Minuten an, wenn sie ihre Aufmerksamkeit vom Fernseher loseiste.
Sie hatten gemeinsam gekocht und gegessen, dabei gelacht und geredet – natürlich auch über den Fall und die sich ständig als noch ein Stückchen komplizierter entpuppenden Verwicklungen unter den Vernommenen. Nur ihr Jobangebot hatte sie mit keinem Wort erwähnt.
Vielleicht hatte Moritz etwas missverstanden? Oder Erna? Oder es ging um eine andere Sarah? Jordan, hör auf, dich selbst zu verarschen. Es gibt nur eine Sarah bei der Kripo Regensburg – und zwar deine.
»Bist du müde?«, fragte sie und sah zu ihm auf. »Du bist so ruhig heute.«
»Nein«, antwortete er. Müde war er nicht. Im Gegenteil, eher ziemlich aufgewühlt. Sollte er sie einfach mit dem
Weitere Kostenlose Bücher