Donaugrund (German Edition)
ihr der Gedanke daran, dass Jan in die Donau gestoßen worden war, jegliche Ruhe geraubt hatte. In die Donau gestoßen, mit Absicht. Von einem Menschen, der seinen Tod gewollt oder zumindest in Kauf genommen hatte. Beim Gedanken daran stellten sich die Härchen an Celias Unterarmen auf. Wer? War das geplant gewesen? Wenn ja, wie konnte jemand so weit gehen, so sehr hassen? Und … hasste diese Person auch sie?
»Hör auf zu grübeln, Celi.« André linste über seinen Monitor hinweg. »Mach dich nicht so verrückt deswegen.«
»Aber er ist wahrscheinlich umgebracht worden, André.« Celia rang die Hände, um ihrer Verzweiflung Ausdruck zu verleihen. »Wie kann man darüber nicht nachdenken?«
»Die werden das schon aufklären.« André wies mit dem Kopf vage in Richtung Besprechungsraum. »Die wirken doch ganz kompetent, oder?«
»Das schon … Aber wenn jemand abgebrüht genug ist, den eigenen Chef auf der Weihnachtsfeier …« Sie ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen. Draußen begann der Schnee wieder vom Himmel zu rieseln … Nahm diese Kälte denn nie ein Ende? »Wem traust du das zu, André?«
André winkte desinteressiert ab. »Wahrscheinlich war’s doch einfach ein Unfall. Wir haben hier keinen Mörder im Büro sitzen, Celi«, sagte er beschwichtigend. »Da bin ich mir sicher.«
»Dann würden die Leute von der Kripo aber nicht jeden hier in die Mangel nehmen, oder?« Sie hörte selbst, wie sich ihre Stimme überschlug. Langsam wurde sie wohl echt hysterisch. »Und wenn Leo …« Wieder konnte sie den Satz nicht zu Ende sprechen, trotzdem manifestierte sich der Gedanke in ihrem Kopf. »Und jetzt will er vielleicht mich auch noch loswerden.«
»Du meinst, Leo hat Jan in die Donau gestoßen? Und jetzt trachtet er dir nach dem Leben?« André stand auf und nahm Celia in die Arme. »Sicher nicht«, flüsterte er ihr beruhigend ins Ohr.
Tatsächlich ließ die Anspannung in ihrem Inneren nach. Es tat gut, von André gehalten zu werden.
»Leo ist ein Idiot und ein absoluter Choleriker noch dazu.« André streichelte ihr tröstend über den Rücken. »Aber Hunde, die bellen, beißen nicht, oder? Ich bin mir sicher, dass er Jan nicht umgebracht hat. Und dass er dir nie etwas tun würde – von diesem Psychoterror mal abgesehen.« Er legte sein Gesicht an ihren Kopf, und obwohl sich das gut anfühlte, ging Celia einige Zentimeter auf Abstand. Nicht dass André sich plötzlich doch noch Chancen ausrechnete.
Er verstand und löste sich von ihr – mit einem undurchdringlichen Gesichtsausdruck.
»Alles okay?«, fragte sie. Dabei wusste sie ganz genau, dass auch für André nichts okay war.
André nickte und stupste verlegen seine Brille an Ort und Stelle, als er zurück zu seinem Schreibtisch ging.
Celia atmete auf, als ihr Tischtelefon klingelte. Simone. Ob sie wohl endlich …? »Hast du mit Sascha geredet?«, fragte Celia, kaum dass sie den Hörer abgenommen hatte.
»Ja«, antwortete Simone kühl. »Wie sieht’s eigentlich mit Leos Texten aus?«
Nun gut, Zug um Zug. Simone wollte wohl nichts Gutes für sie tun, ohne wenigstens irgendeine Gegenleistung zu bekommen. »Leg ich ihm heute noch ins Fach. Also?«
»Heute hat Sascha natürlich keine Zeit mehr. Aber am Montag, neun Uhr.«
Celia atmete auf. Endlich. »Danke, Simone. Du bist die Beste, echt.«
»Du hättest ja ohnehin keine Ruhe gegeben«, antwortete Simone trocken und legte grußlos auf.
»Ich habe am Montag einen Termin bei Sascha«, quietschte Celia triumphierend. »Und jetzt knall ich Leo noch seine Texte ins Fach, und dann mach ich Feierabend. Die Überstunden von dieser Woche reichen nun wirklich aus.«
Falls André enttäuscht gewesen war, hatte er es schon wieder erfolgreich verdrängt, denn jetzt erhellte ein kleines Lächeln sein Gesicht. »Wirst sehen, Celi – alles wird gut.« Er sah ihr unverwandt in die Augen, bis Celia den Blick abwandte.
Wie ein Mantra sagte sie Andrés letzte Worte auf, als sie ein paar Minuten später mit klammen Händen vor Leos Fach stand. Wanja aus der Technikabteilung sah sie im Vorbeigehen verwundert an, sodass sie verstummte, schnell den Papierstapel mit den Texten für das Seitensprung-Portal in Leos Fach legte – und insgeheim flehte, dass er dieses Mal zufrieden war.
* * *
Ein paar Minuten vor unserem Gesprächstermin mit Sascha Hoyer betrat ich die penetrant nach Duftstäbchen, Typ Vanille, riechende Damentoilette. Als ich ein unterdrücktes Schluchzen hörte, dem den Bruchteil
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