Donaugrund (German Edition)
Fenster sah ich nur einen einsamen Gast am Tresen sitzen. Die Toiletten waren gegenüber der Eingangstür, auf der anderen Seite eines schmalen Hauseingangs untergebracht – trotz der Kälte schlug mir ein stechender Geruch in die Nase. Auch die separate Tür zu den Wohnungen in den oberen Stockwerken sah reichlich heruntergekommen aus.
Beherzt drückte ich den Klingelknopf neben Wunderlichs Namensschild. Nichts passierte. Ich drückte erneut, Raphael trat wieder hinaus auf die Straße und sah zu den Fenstern über der Kneipe hoch.
»Wird wohl nicht zu Hause sein«, mutmaßte ich und drückte ein drittes Mal.
»Laut Jenny Schauer hat er diese Woche Urlaub und sitzt den ganzen Tag vor der Playstation«, antwortete Raphael, und ich war mir sicher, einen Anflug von Neid in seiner Stimme zu bemerken. Nach ein paar Sekunden erhellte ein Lächeln seinen finsteren Blick. »Dacht ich’s mir doch.«
»Was?«
»Da hat jemand runtergeguckt.« Er kramte in seiner Jeanstasche. »Jemand, der exakt so aussieht, wie ich mir Dennis Wunderlich vorgestellt hatte.« Er zog das Handy aus der Tasche und wählte. »Diese Jenny hat Herbert die Handynummer unseres jungen Freundes gegeben. Dann wollen wir doch mal sehen.«
Mit angespannter Miene presste Raphael sich das Handy ans Ohr. Wahrscheinlich überlegte Wunderlich gerade verzweifelt, wer da versuchte, ihn zu behelligen. Oder seine Freundin hatte ihm ihren Anruf bei der Polizei schon gebeichtet, und Wunderlich reagierte jetzt mit der einzigen adäquaten Möglichkeit: Er stellte sich tot.
Schließlich schien er doch endlich abzuheben. »Raphael Jordan, Kripo Regensburg«, hörte ich Raphael sagen. »Ihre Freundin Jenny hat uns Ihre Nummer gegeben …« Raphael hielt das Handy etwas weiter vom Ohr weg und runzelte die Stirn. Selbst ich hörte die Männerstimme aus dem Telefon dröhnen. Da schien jemand ein kleines Aggressionsproblem zu haben. »Nein, nein, Sie haben nichts getan, Herr Wunderlich. Vielmehr haben Sie etwas nicht getan. Wir brauchen Ihre Zeugenaussage. … Laut Frau Schauer wissen Sie genau, weshalb – … Ach, keine Zeit? Haben Sie nicht diese Woche Urlaub?« Raphael grinste spöttisch. Seine Begeisterung für solche Situationen würde ich nie verstehen.
»Sie brauchen nicht aufs Präsidium zu kommen«, fuhr Raphael genüsslich fort. »Machen Sie uns einfach die Tür auf, das reicht schon. … Ach ja? Das würde ich Ihnen zwar nicht empfehlen, aber notfalls kommen wir auch ohne Ihre Unterstützung ins Haus, keine Sorge.« Mit diesen Worten legte er auf. Es dauerte keine fünf Sekunden, bis der Türöffner surrte.
»Irgendwie ist das ja schon sexy«, sagte ich grinsend, schüttelte den Schnee von meinen Stiefeln und betrat das Treppenhaus.
»Was meinst du?«
»Dass du so ein Arschloch sein kannst.«
Raphael sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu mir hinunter, bevor er den Weg zur breiten Holztreppe einschlug, die in den ersten Stock führte. »Deine Komplimente sind echt immer wieder verblüffend.«
Im ersten Stock lehnte Dennis Wunderlich, einen betont gelangweilten Gesichtsausdruck zur Schau tragend, schon im Türrahmen. Die Langeweile wandelte sich jedoch in Erstaunen, als wir uns näherten. »Sie sind Bullen?«, fragte er halb ungläubig, halb bewundernd. Er musterte Raphaels lange Haare, seinen Fünf-bis-sieben-Tage-Bart, den geöffneten Kapuzenparka und die auf der Hüfte sitzenden Jeans, dann schwenkte sein Blick auf meine Ringelmütze.
Dabei trug er selbst eine schräg aufgesetzte Kappe, eine schmutzige Jogginghose in Übergröße, die zudem beinahe auf Halbmast hing, und ein T-Shirt mit einer nackten Farbigen in skurril-lasziver Pose mit monströsen Brüsten und einem noch monströseren Hinterteil darauf. Ich hatte eigentlich gedacht, die Spezies der Ich-lebe-zwar-in-Regensburg-aber-für-mich-ist-das-wie-die-Bronx-Männer wäre irgendwann nach meiner Jugend weitgehend ausgestorben, aber anscheinend hatte ich beim Altern einfach nur die Weiterentwicklung verpasst.
»Ja, und sogar welche von der ganz fiesen Sorte«, antwortete Raphael trocken und zeigte seinen Dienstausweis. »Also, was ist? Können wir reinkommen, oder sollen die Nachbarn alles mitkriegen?«
Widerwillig trat Wunderlich einen Schritt zur Seite. Sehr zu meinem Erstaunen war das kleine Ein-Zimmer-Apartment, abgesehen von einem riesigen Klamottenberg auf dem Boden, in einem verhältnismäßig sauberen Zustand. Auf einem Sideboard stand ein Flachbildfernseher, der davon kündete, dass
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