Donner: Die Chroniken von Hara 3
dort die Stellung. Ich werde mir etwas für Mithipha einfallen lassen. Sobald sich eine Gelegenheit ergibt, hörst du von mir. Nun denn, pass auf dich auf.«
Das Silberfenster trübte sich, das Wasser sickerte in die Tannennadeln. Thia fuhr sich mit dem Finger vorsichtig über die aufgebissene Lippe.
Pass auf dich auf!
Was für eine rührende Sorge Alenaris! Als ob sie beide nicht ganz genau wüssten, worum es hier ging: Wenn sie, Thia, stürbe, stürbe mit ihr auch das Geheimnis der Wegblüten.
Ob Alenari Wort hielt? Thia wusste es nicht. Zumindest würde die alte Spinne nicht eher etwas unternehmen, bis sie das Geheimnis dieser Schöpfung des Skulptors kannte – das ihr, Thia, bislang allerdings auch noch verschlossen war.
Sie blieb noch eine Weile stehen und erwog ihre Chancen auf einen Sieg in diesem Spiel. Schließlich ging sie zurück.
Zu den anderen.
Kapitel
18
Alenari legte die benutzte Feder behutsam auf dem Rand des Tintenfasses ab und las noch einmal in aller Ruhe ihren Brief durch, bevor sie ihn in einen Umschlag steckte. Der obersten Schreibtischschublade entnahm sie bordeauxfarbenen Siegellack, schmolz diesen mithilfe ihres Funkens und drückte ihren Ring in die weiche Masse.
»Ich bin der Falke, der die Feinde selbst durch die Ewigkeit hindurch vernichtet«, flüsterte sie den Leitspruch ihrer Familie, während sie den Abdruck des Vogels betrachtete, der im getrockneten Siegellack prangte. Seit vielen Jahrhunderten galt sie nun schon als Abtrünnige, doch jener Worte erinnerte sie sich noch immer.
Sie griff nach einer kleinen Glocke und wartete, bis der Diener eintrat.
»Bringe mir etwas Wein!«
»Sofort, Gebieterin. Und die Herrin Batul bittet darum, empfangen zu werden.«
»Sie mag noch warten. Ich werde sie später empfangen.«
Der Diener verneigte sich, verschwand wieder und schloss leise die Tür. Alenari erhob sich von ihrem Stuhl und begab sich in das angrenzende Zimmer, doch auch dieser Raum kam ihr leer und unbehaglich vor – ebenso wie die ganze Schule. Vielleicht rührte dieser Eindruck jedoch einfach nur daher, dass in den zahlreichen Bücherregalen gähnende Leere herrschte.
Sie nahm in jenem hohen Stuhl Platz, welcher der Leiterin der Schule vorbehalten war, und legte die Hände auf die Armlehnen. Sie dachte nach, kalt und vorbehaltlos wie stets. Sobald sie sich ein Ziel gesetzt hatte, stimmte sie ihr Verhalten darauf ab. Weder Wut noch Hitzköpfigkeit oder eine niedergedrückte Stimmung, ja, nicht einmal Hass brachten sie dazu, eine unwiderrufliche Dummheit zu begehen. Man nehme nur die Geschichte mit Talki …
Nach dem Aufstand war Alenari in flammenden Hass gegen die alte Spinne entbrannt. Nichts hatte sie von der Überzeugung abbringen können, dass die Heilerin imstande gewesen wäre, ihr zu helfen – wenn sie denn nur gewollt hätte. O ja, sie hätte ihr das alte Gesicht zurückgeben können. Sie hätte sie von den grauenvollen Schmerzen befreien können, die die einstige Schönheit nahezu ein Jahrhundert lang gemartert hatten.
All diese Qualen hatte Alenari indes erduldet. Niemanden hatte sie wissen lasen, wie sehr es sie drängte, die alte Natter zu zerquetschen. Das wäre unklug gewesen. Dazu wusste Alenari zu genau um die Möglichkeiten ihrer beider Funken: Ihre Chancen, die Widersacherin in einem offenen Duell zu bezwingen, standen lediglich eins zu fünf. Deshalb musste sie auf eine andere Möglichkeit hoffen. Und die hatte sich ihr nun, fünfhundert Jahrhunderte später, geboten.
Nach dem Tod ihrer Feindin hatte sie freilich keine Freudentänze auf deren Grab aufgeführt, nein, sie hatte ihn lediglich als ein zwangsläufiges Ergebnis ihrer Rachepläne zur Kenntnis genommen. Und jede Erinnerung daran sofort aus ihrem Gedächtnis verbannt, damit sie sich neuen, ihrer Ansicht nach wichtigeren Aufgaben widmen konnte.
Doch nun galt es, diese hintanzustellen. Zum ersten Mal in all den Jahrhunderten drohte Alenari, von ihren Gefühlen überwältigt zu werden. Dabei bestürzte sie weniger die Tatsache, dass Thia sich von ihrer gemeinsamen Sache losgesagt hatte. Mit einem solchen Schritt hatte sie immer gerechnet, denn sie vertraute keinem aus ihrem Kreis vorbehaltlos, nicht einmal Ley. Jeder Mensch log und suchte einzig seinen Vorteil – diese Wahrheit hatte sie bereits in ihrer Kindheit hinzunehmen gelernt. Warum Thia sich von ihnen abgewandt hatte, wusste sie nicht, im Grunde interessierte es sie aber auch nicht. Nein, bestürzt hatte sie etwas anderes: jenes
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