Donner: Die Chroniken von Hara 3
wie Eier. Wir standen noch in der Morgendämmerung auf und zogen weiter, vor Kälte bibbernd. Manchmal war der Weg kaum zu bewältigen, sodass wir ein Stück in Richtung der Berge wandern mussten, wo die Buchenwälder Tannen wichen, nur um nach einer Weile, wenn der Weg wieder leichter zu werden schien, zu unserer alten Strecke zurückzukehren.
Der Herbstwald wirkte finster, uns allen kam es vor, als sauge er die letzte Kraft aus uns heraus. Selbst Ghbabakh hatte ein wenig von seinem Optimismus eingebüßt.
Ein kleiner Trost in diesen Tagen war immerhin, dass es endlich aufgehört hatte zu regnen, schließlich wollte niemand bei dieser grimmigen Kälte auch noch durchnässt durch die Gegend ziehen.
Abends wärmten wir uns alle am Feuer. Rona beobachtete misstrauisch, wie Typhus den Unterricht mit Shen fortsetzte. Seit dem Jungen einmal ein Fehler bei einem Zauber unterlaufen war, der Ghbabakh fast den Kopf gekostet hätte, jagten wir die beiden allerdings immer ein gutes Stück vom Lagerfeuer fort, damit sie sich an einer Stelle mit ihrer Magie beschäftigten, an der sie sich nur gegenseitig umbringen konnten.
Das hinderte Rona jedoch nicht, sich zu ihnen zu gesellen. Weder Typhus noch Shen hatten dagegen etwas einzuwenden.
Ich hätte gern gewusst, warum das Mädchen die Entladungen des dunklen Funken ertrug, fand aber keine Antwort auf diese Frage. Rona verfolgte stets gebannt, wie an Typhus’ Händen schwarze Blumen erblühten oder wie ein Rabe zum Himmel aufstieg und sich in stählerne Federn auflöste, die die unschuldigen Bäume verbrannten. Für Rona musste es so sein, als habe sie eine Kobra aus Sdiss vor sich: giftig, tödlich, aber dennoch betörend.
Nach dem Unterricht der beiden schwieg Rona meist lange, die Stirn von tiefen Falten durchzogen. Fragte ich sie, was sie bedrücke, lächelte sie bloß traurig und schüttelte den Kopf. Deshalb drang ich nicht weiter in sie. Sie würde es mir schon von sich aus erzählen, sollte sie irgendwann den Wunsch danach verspüren.
Die Sturheit oder Unzulänglichkeit Shens brachte Typhus häufig genug derart auf, dass sie sich weigerte, sich weiter mit ihm zu beschäftigen. Dann zogen sich Shen und Rona zurück, um miteinander zu sprechen. Überhaupt verbrachten sie jetzt viel Zeit gemeinsam, liefen manchmal weit voraus oder blieben ein gutes Stück hinter uns. Anfangs hatte mich dieses Verhalten noch beunruhigt, denn ich fürchtete, sie würden sich verirren, doch mit der Zeit begriff ich, dass sich die beiden recht gut zu orientieren wussten, sodass ich mir bald keine Gedanken mehr machte, wenn sie mal wieder auf Abwegen waren.
An einem der Abende, als wir an einem Bach entlangliefen, auf dem sich bereits eine Eiskruste gebildet hatte, las ich zahlreiche glatte Steine auf, die uns als Spielsteine dienen sollten. Das entsprechende Brett zeichneten wir direkt in den Sand. Bis zum Einbruch der Nacht vergnügten wir uns dann damit. Ghbabakh und Typhus gewannen Partie um Partie, Shen und ich verbuchten nur in Ausnahmen einen Sieg für uns.
Nach einer Woche lichtete sich der Wald, es gab weniger Bäche, und diese waren auch längst nicht mehr so sprudelnd wie bisher. Alles wies darauf hin, dass wir die Blinden Berge bald hinter uns lassen würden.
Wir alle hofften, dann endlich eine Straße zu erreichen.
Am achten Tag stießen wir auf eine kleine Jagdhütte. Die Tür war zwar mit Brettern vernagelt, was uns jedoch nicht daran hinderte, diese kurzerhand herunterzureißen. Zu unser aller Enttäuschung fand sich in dieser Hütte nichts, was wir hätten gebrauchen können. Der ersehnte Kessel blieb nach wie vor ein Wunschtraum. Aber immerhin hatten wir mal wieder für eine Nacht ein Dach über dem Kopf.
Wir alle schliefen süß und selig, selbst mich suchten keine Albträume heim.
Am nächsten Morgen wachte ich als Erster auf, als eine aprikosenfarbene Sonne die Wolken golden färbte. Beim Aufstehen wäre ich beinahe auf Yumi getreten, der sich zu einer Kugel zusammengerollt hatte. Ich trat in die Kälte hinaus, ein paar Minuten später folgte mir Rona.
Obwohl sie Einwände erhob, bestand ich darauf, dass sie sich meine Jacke anzog, während ich ein Feuer entfachte.
»Hast du geweint?«, fragte ich sie, denn sie hatte ganz rote Augen.
»Wir alle haben mal schlechte Träume …«
»Und du träumst immer noch von Kira?«, hakte ich sanft nach und gab dürre Zweige in die noch kleine Flamme.
»Ja. Obwohl ich sie ermordet habe, gibt sie mich nicht frei. Genau wie
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