Donner unter der Kimm
Bauernhof gefiel ihm nicht, und zudem wußte er, daß es ihm als Freiwilligem auf einem Kriegsschiff besser gehen würde als einem Zwangsverpflichteten.
Seine Mutter war ledig gewesen. Allday hatte angedeutet, der Bauer habe seine Mutter oft unter der Drohung, sie und ihr Kind andernfalls vor die Tür zu setzen, mit ins Bett genommen. Das hatte in Bolitho einen Nerv berührt: Die Erinnerung an Adams Eintreffen auf dem Schiff, als er nach dem Tod seiner ledigen Mutter den ganzen Weg von Penzance zu Fuß zurückgelegt hatte. Die Parallele war zu offensichtlich.
Alldays Sohn hatte sich bereits als guter Seemann entpuppt, der reffen, spleißen und steuern konnte, und zwar ebensogut wie andere von höherem Rang und längerer Dienstzeit. Als zweiter Bootsführer würde er nur wenig Kontakt mit dem Admiral haben, sondern sich mehr um die Instandhaltung der Barkasse und Botengänge kümmern und Allday allgemein zur Hand gehen. Fürs erste fand Bolitho diese Lösung brauchbar.
Er stand auf und ging in seine Schlafkammer, wo er nach kurzem Zögern eine Schublade aufzog und die hübsche ovale Miniatur Cheneys herausnahm. Der Künstler hatte ihren Ausdruck perfekt getroffen. Bolitho legte das Bild zurück unter seine Hemden. Was ist nur mit mir los? dachte er. Ich bin glücklich verheiratet, habe eine zehn Jahre jüngere Frau und nun eine reizende Tochter. Und trotzdem… Er wandte sich um und ging zurück in die Tageskajüte.
Wenn sie erst zur Flotte gestoßen waren, würde sich alles ändern. Dann erwarteten ihn Gefechte, Gefahren und die Früchte des Sieges. Er versuchte, seine Gedanken auf die kommenden Monate zu konzentrieren, und fragte sich, wie Lapish reagieren würde, wenn seine Fregatte zum ersten Mal kämpfen mußte. Doch statt dessen dachte er an das Porträt, das aus dem Salon verschwunden war, und wünschte sich plötzlich, er hätte es mitgenommen.
Tief unter Bolithos geräumigem Quartier mit der vergoldeten Heckgalerie lag das stickige Krankenrevier im fensterlosen Orlopdeck unter der Wasserlinie. Schwankende Laternen ließen dunkle Schatten über die Wände huschen, und die mächtigen Deckenbalken waren so niedrig, daß man nicht aufrecht stehen konnte. Seit das Schiff erbaut worden war, hatte das Orlopdeck kein Tageslicht mehr gesehen.
Winzige Kammern säumten den großen Raum in der Mitte, in denen die Decksoffiziere fast ohne Bewegungsfreiheit ihre Privatsphäre zu wahren versuchten. Nicht weit davon führten die Midshipmen, von denen erwartet wurde, daß sie sich beim Schein eines in ölgefüllten Muscheln oder alten Dosen schwimmenden Dochts auf die Offiziersprüfung vorbereiteten, ihr chaotisches Leben. Sie alle teilten das Deck mit dem Pulvermagazin, wo schon ein einziger Funke katastrophal wirken mußte. Unter ihnen enthielten die großen Frachträume alles, was zum Betrieb des Schiffes notwendig war und es auf Monate hinaus unabhängig machte.
Das Krankenrevier ganz hinten am Fuß des Niedergangs wirkte mit seinem weißen Anstrich und den Regalen voller Gläser und Flaschen vergleichsweise licht. Keen schritt darauf zu und senkte automatisch den Kopf, um sich nicht an den Balken zu stoßen; seine Epauletten glitzerten, als er eine Laterne nach der anderen passierte. Dunkle Umrisse und verschwommene Gesichter tauchten in der Düsternis auf, dieser von See und Himmel so weit entfernten Welt, und verblaßten wieder.
Keen sah James Tuson, den Schiffsarzt, mit seinem Assistenten sprechen, einem großen blassen Mann von den Kanalinseln, der Carcaud hieß. Letzterer war mehr Bretone als Engländer, aber intelligent und des Lesens und Schreibens mächtig. Keen wußte, daß sich Tuson, der schon Arzt auf der
Achates
gewesen war, sehr um seinen schlaksigen Helfer bemühte und ihm alles beigebracht hatte, was er selbst wußte. Die beiden spielten sogar Schach.
Keen mochte den silberhaarigen Tuson, obwohl er ihn auch jetzt nicht genauer kannte als auf dem vorigen Schiff. Er war ein guter Chirurg, zwanzigmal besser als die meisten seiner Kollegen. Doch er blieb für sich, was in dieser wimmelnden Welt zwischen den Decks nicht einfach war, und kam nur zu den Mahlzeiten in die Messe.
Ein Seesoldat, dessen Kreuzbandelier im schwachen Licht sehr weiß wirkte, nahm Haltung an und bedeutete Tuson, daß der Kommandant gekommen war. Es war eine kluge Vorsichtsmaßnahme, an der Tür einen Posten aufzustellen, dachte Keen. Die Besatzung war nun schon seit Monaten fast ohne Unterbrechung auf See. Da schwebte jede
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