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Donner unter der Kimm

Donner unter der Kimm

Titel: Donner unter der Kimm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kent
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Frau in Gefahr, und eine, die als Gesetzesbrecherin abgestempelt war, ganz besonders.
    Tuson murmelte etwas, und sein Assistent verschmolz mit dem Schatten.
    »Wie geht's ihr?« fragte Keen.
    Tuson rollte sich die Hemdsärmel herunter und dachte über die Frage nach.
    »Sie sagt keinen Ton, jedenfalls nicht zu mir. Sie ist jung, unter zwanzig, hat reine Haut und ihren Händen nach zu urteilen keine Feldarbeit verrichtet.« Er senkte die Stimme.
    »Sie hat mehrere Blutergüsse. Ich fürchte, sie ist vergewaltigt oder sexuell schwer mißhandelt worden.« Er seufzte. »Unter den gegebenen Umständen möchte ich eine genauere Untersuchung nicht riskieren.«
    Keen nickte. Das Mädchen war plötzlich zu einer Person geworden, mehr als nur ein Opfer.
    Der Arzt beobachtete ihn aufmerksam. »Hier kann sie nicht bleiben, Sir.«
    Keen wich aus. »Ich werde mit ihr reden. Es sei denn, Sie raten mir davon ab?«
    »Keineswegs.« Der Arzt ging voran zum Krankenrevier.
    »Sie weiß, wo sie ist. Aber haben Sie bitte Geduld mit ihr.« Keen trat ein und sah die junge Frau bäuchlings unter einem Laken liegen. Sie schien zu schlafen, aber Keen merkte an ihren raschen Atemzügen, daß sie nur so tat. Als der Arzt das Laken wegzog, sah er, wie sich ihre Rückenmuskulatur spannte.
    Tuson meinte leise: »Die Wunde heilt, aber…« Er hob den losen Verband an, und Keen sah den tiefen Einschnitt, den die Peitsche hinterlassen hatte. Im Schein der Laterne wirkte die Narbe schwarz.
    Tuson wies auf ihr langes, dunkelbraunes Haar; es war wirr und verfilzt, und als der Arzt es berührte, versteifte sie sich wieder. »Sie braucht ein Bad und frische Kleider«, sagte er.
    »Sobald wir vor Anker gehen, schicke ich einen Leutnant hinüber zur
Orontes.
Irgendwelche Habseligkeiten muß sie dort noch haben«, erwiderte Keen.
    Seine Worte schienen sie wie ein Peitschenhieb zu treffen, denn sie drehte sich ruckartig um, bedeckte ihre Brüste mit dem Laken und schien die Blutstropfen, die unter dem Wundschorf hervortraten, nicht zu gewahren.
    »Nein, bitte nicht! Bitte, bitte, nicht zurück auf dieses Schiff!«
    Keen reagierte verdutzt auf den Ausbruch. Diese junge Frau war trotz der Blutergüsse und ihres zotteligen Haars fast eine Schönheit. Sie hatte kleine, wohlgeformte Hände und große Augen, aus denen sie ihn flehend ansah.
    »Nur ruhig, Kleine«, sagte er und streckte die Hand nach ihr aus, aber Tuson schüttelte rasch den Kopf.
    »Das ist der Kapitän«, sagte der Arzt. »Er hat Sie vor der Auspeitschung bewahrt.«
    Sie schaute in Keens besorgtes Gesicht und fragte: »Sie, Sir?« Es war kaum mehr als ein Flüstern. »Sie waren das?«
    Sie sprach mit weichem westenglischem Akzent. Keen konnte sich nicht vorstellen, weshalb sie vor Gericht gestellt und dann auf diesem schmutzigen Schiff mit anderen Sträflingen in die Verbannung geschickt worden war.
    »Ja.« Um ihn herum ächzte und stöhnte das Schiff, gelegentlich unterbrochen von einem lauten Krachen, wenn der Kiel in ein Wellental tauchte. Doch Keen war sich nur ihres Schweigens bewußt, als stünde plötzlich die Zeit still.
    Er hörte sich fragen: »Wie heißen Sie?«
    Sie warf dem Arzt einen raschen Blick zu. Er nickte ermunternd.
    »Carwithen.« Sie zog das Laken enger um sich, als Tuson den Verband wieder auflegte.
    »Woher stammen Sie?«
    »Aus Lyme, Sir, in Dorset.« Sie hob das zierliche Kinn; Keen sah, daß es zitterte. »Aber geboren wurde ich in Cornwall.«
    »Dacht' ich mir's doch«, grunzte Tuson. Er richtete sich auf. »So, jetzt liegen Sie still, damit die Wunde nicht wieder aufplatzt. Ich lasse Ihnen was zu essen bringen.« Er wandte sich zur Tür und gab seinem wartenden Assistenten einen Wink.
    Das Mädchen schaute immer noch Keen an und flüsterte heiser: »Sind Sie wirklich der Kapitän, Sir?«
    Keen merkte, daß sie im Begriff war, die Beherrschung zu verlieren. Er war mit zwei jüngeren Schwestern aufgewachsen und kannte die Anzeichen. Bei Gott, sie hatte ja auch genug gelitten.
    »Ja.« Er ging zur Tür und blieb stehen, als der Rumpf wegsackte und dann widerwillig seine achtzehnhundert Tonnen der nächsten Welle entgegen hob.
    Das Mädchen wandte den Blick nicht von seinem Gesicht. »Was werden Sie mit mir machen, Sir?« Ihre Augen glänzten. Wenn sie in Tränen ausbrach, durfte er nicht mehr da sein.
    So fragte er rundheraus: »Wie heißen Sie mit Vornamen?« Das schien sie abzulenken. »Zenoria.«
    Er wich zurück. »Gut, Zenoria, folgen Sie den Anweisungen des Arztes.

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