Donner unter der Kimm
Kommando stehen, und droht, es an höhere Stelle weiterzumelden.«
»Das tut mir leid«, sagte Keen leise. »Ich wollte Sie nicht hineinziehen…«
»Ich hätte von Ihnen kein anderes Verhalten erwartet, Val«, sagte Bolitho. »Die Drohungen dieses Dummkopfs stören mich nicht. Wenn ich bei seinen Vorgesetzten Entschädigung fürs Abschleppen und seine Rettung verlangte, säße er ein für allemal auf der Straße. Er und seinesgleichen sind Abschaum, sie arbeiten für Blutgeld wie Sklavenfahrer.«
Keen wartete ab; fast überraschte es ihn, daß Bolitho ihn wegen seiner Einmischung nicht zurechtgewiesen hatte.
Bolitho fragte: »Haben Sie mit diesem Mädchen gesprochen?«
Keen zuckte die Achseln. »Nein, Sir. Ich hielt es für besser, sie dem Arzt zu überlassen, bis sie sich erholt hat. Sie hätten die Peitsche sehen sollen und den Riesen, der sie schwang…«
Bolitho dachte laut. »Eine Frau sollte sich um sie kümmern. Auf Ihren Vorschlag hin erwog ich Inchs Schiff, bin mir aber inzwischen nicht mehr so sicher. Offiziersfrauen und ein Sträfling, der in die Verbannung geschickt wird – für welches Verbrechen auch immer –, das paßt nicht zusammen. Ich werde Latimer bitten, mich über den Grund ihrer Verurteilung zu informieren.«
»Sehr entgegenkommend von Ihnen«, meinte Keen.
»Wenn ich nur gewußt hätte …«
Bolitho lächelte ernst. »Sie hätten trotzdem so gehandelt.«
An Deck stampften viele Füße, und Taljen quietschten, als der Wachoffizier die Männer an die Brassen rief.
Auf einem überfüllten Kriegsschiff konnte eine einzige Frau vieles bedeuten, nicht zuletzt Unglück. Landratten mochten über solchen Aberglauben spotten, aber wer zur See fuhr, wurde bald eines besseren belehrt.
»Suchen Sie die junge Frau auf, Val, und sagen Sie mir dann, was Sie von ihr halten. In Gibraltar können wir sie auf die
Philomela
verlegen. Andernfalls würde sich Latimer wahrscheinlich an ihr rächen.«
Keen machte Anstalten, sich zurückzuziehen. Er hatte ohnehin vorgehabt, das Mädchen zu besuchen und sich beim Arzt nach ihm zu erkundigen. Ganz gleich, was es in seinem jungen Leben getan hatte, die Qual und Erniedrigung einer Auspeitschung verdiente es nicht.
Bolitho wartete, bis die Tür sich geschlossen hatte, und nahm dann wieder unter den Heckfenstern Platz. Erneut dachte er an Falmouth, seine frohe Heimkehr, und wie er seine einzige, neugeborene Tochter Elizabeth so ungeschickt im Arm gehalten hatte, daß er von Belinda ausgelacht worden war.
Bolitho hatte immer verstanden, daß es für jede Frau schwer sein mußte, über die Schwelle seines Hauses zu treten. Es barg zu viele Schatten und Erinnerungen, zu hohe Erwartungen. Belinda war nur in Cheneys Fußspuren getreten, oder so mußte es ihr zumindest vorgekommen sein.
Am härtesten hatte Bolitho die Entdeckung getroffen, daß Cheneys Porträt – das Gegenstück zu dem, das sie von ihm hatte anfertigen lassen – aus dem Raum, in dem die beiden Bilder nebeneinander hingen, entfernt worden war. Cheney vor dem Hintergrund der Landzunge, mit Augen so grün wie die See, und er in seinem Rock mit den weißen Aufschlägen als der junge Kapitän, den sie so sehr geliebt hatte. Sein Porträt hing nun bei den anderen neben dem seines Vaters, Kapitän James Bolitho.
Er hatte geschwiegen, weil er Belinda nicht verletzen wollte, aber gestört hatte ihn der Vorfall doch. Er kam ihm wie Verrat vor.
Immer wieder sagte er sich, daß Belinda ihm nur helfen, anderen zu verstehen geben wollte, wie wertvoll er für sein Land war. Doch er war in Falmouth zu Hause, nicht in London.
Seufzend wandte er seine Gedanken Allday zu. Der hatte vermutlich die gespannte Atmosphäre in Falmouth gespürt. Doch zeigte er nicht, was er davon hielt. Oder vielleicht war er so mit der Entdeckung seines Sohnes beschäftigt gewesen, daß ihm keine Zeit für Spekulationen blieb.
Bolitho stellte sich die beiden vor, wie sie hier in der Kajüte vor ihm gestanden hatten: Allday kraftvoll und stolz in seiner blauen Jacke mit den Goldknöpfen, den Kopf lauschend geneigt, als Bolitho zu dem jungen Matrosen John Bankart sprach.
Bolitho entsann sich, wie Allday vor zwanzig Jahren als Opfer einer Preßpatrouille an Bord seiner Fregatte
Phalarope
gebracht worden war. Damals war er wie dieser junge Matrose gewesen: klare Augen und ein ehrliches Gesicht mit einer Andeutung von Aufsässigkeit. Ohne großes Zögern hatte er sich von der Preßpatrouille verpflichten lassen. Das Leben auf dem
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