Donner unter der Kimm
hatte auch Männer nötig, die kommandieren konnten.
Keen verschwand im Schatten unter dem Poopdeck und merkte erst jetzt, wie müde und angespannt er war. Aus der Dunkelheit tauchte ein roter Rock auf: Hauptmann Bouteiller von den Royal Marines.
»Guten Morgen, Major.« Keen bewunderte die Seesoldaten zwar, verstand sie aber nie ganz. Selbst ihr Titel »Major« für den befehlshabenden Offizier kam ihm sonderbar vor.
»Ich wollte es Ihnen selbst sagen, Sir.« Bouteiller sprach abgehackt. »Die, äh, der Passagier verlangte Sie zu sprechen.«
Keen nickte. »Aha. Wann war das?«
Der Hauptmann dachte nach. »Vor zwei Stunden, Sir. Sie kamen mir aber zu beschäftigt vor.«
In der Dunkelheit war Bouteillers Gesicht nicht zu erkennen, und der Mann hätte sich ohnehin nichts anmerken lassen. Was dachte er?
»Gut. Haben Sie vielen Dank.«
Keen tastete sich zu der kleinen Tür und konnte fast hören, wie der Wachtposten gespannt den Atem anhielt.
Eine Blendlaterne schaukelte an der Decke, und in ihrem Schein sah er das Mädchen auf der Koje liegen. Ein Bein hing über den Rand und schwang mit den Bewegungen des Schiffes, als sei es der einzige lebendige Teil ihres Körpers. Keen schloß die Tür. Tuson würde seinen Besuch bestimmt mißbilligen, dachte er.
Sanft griff er nach ihrem Fußknöchel und schob das Bein wieder unter die Decke. Sie trug noch immer Hemd und Hose, und als ein Lichtstrahl ihr Gesicht streifte, fand Keen, daß sie unglaublich jung aussah.
Da öffnete sie die Augen weit, starrte ihn entsetzt an und raffte das Hemd am Hals zusammen.
Keen rührte sich nicht. Ihre Angst schwand langsam.
»Tut mir leid«, sagte er. »Ich erfuhr erst jetzt, daß Sie nach mir fragten.«
Sie setzte sich auf und schaute ihn an. Dann streckte sie die Hand aus und berührte seinen Rock und sein Hemd.
»Sie sind ja triefnaß, Kapitän Keen«, flüsterte sie. Selbst diese schlichte Geste fand er herzbewegend.
»Der Sturm hat sich verzogen«, sagte er. Er sah ihre Finger an, wollte sie ergreifen und an die Lippen pressen. Doch er fragte nur: »Hatten Sie Angst?«
»Es war nicht so schlimm wie gestern.« Ozzard hatte berichtet, er habe sie am Vortag mit den Händen über den Ohren in einer Ecke kauernd vorgefunden, als ein Matrose wegen Ungehorsams ausgepeitscht wurde.
»Das Schiff ist so groß, und trotzdem fürchtete ich manchmal, es würde auseinanderbrechen.« Sie spielte mit gesenktem Blick an seinem Revers. »Ich dachte, Sie machen sich meinetwegen vielleicht Sorgen, und wollte Ihnen nur sagen, daß ich mich wohlfühle.«
»Das war lieb von Ihnen.« Einmal während des Sturmes hatte Keen sich vorgestellt, sie stünde neben ihm mit fliegendem Haar und trotzte lachend dem Wetter.
»Ja, ich habe mir Sorgen gemacht. An das Leben auf See sind Sie nicht gewöhnt.« Er stellte sich das Sträflingsschiff bei Sturm vor und spürte, daß sie seine Gedanken erraten hatte.
»Ich kann immer noch nicht glauben, daß ich in Sicherheit bin.« Sie schaute auf, und ihre Augen wechselten im Schein der schwankenden Laterne von hell zu dunkel. »Bin ich das wirklich?« Er ergriff ihre Hände und hielt sie fest. Sie wandte den Blick nicht von seinem Gesicht. »Bitte sagen Sie mir die Wahrheit.«
»Wie Sie wissen, hoffte ich, Sie in Gibraltar an Land zu setzen«, sagte Keen. »Aber nun hat es den Anschein, als müsse das noch warten. Ich habe mit der Brigg, die von Sir Richards Neffen kommandiert wird, eine Nachricht nach London geschickt. Sobald der Brief meinen Anwalt erreicht, gehen Schreiben heraus. Vielleicht müssen Sie an Bord bleiben, bis mein Schiff Malta erreicht. Aber auch in Malta habe ich Freunde.« Er drückte ihre Hände. »Eines aber steht fest, Zenoria: Auf ein Sträflingsschiff kommen Sie nie wieder. Dafür sorge ich.«
Leise fragte sie: »Und das tun Sie alles nur meinetwegen, Sir? Sie kennen mich doch überhaupt nicht. Als Sie mich zum erstenmal sahen, wurde ich nackt ausgepeitscht wie eine Hure.« Sie hob das Kinn. »Ich bin aber keine.«
»Das weiß ich«, erwiderte er.
Sie schaute an ihm vorbei in den Schatten. »Würden Sie sich auch so um mich kümmern, wenn wir anderswo wären? In London vielleicht, wo Ihre Frau uns sehen könnte?«
Keen schüttelte den Kopf. »Ich bin Junggeselle. Nur einmal …«
Ermunternd drückte sie seine Finger. »Sie haben nur einmal geliebt?«
Keen nickte. »Aye, aber sie starb. Es ist lange her.« Er sah auf. »Erklären kann ich es nicht, doch mein Gefühl für Sie ist
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