Donner unter der Kimm
Offizier.«
Die Tür schloß sich, und Bolitho griff nach dem Brief. Dann knüllte er ihn zusammen und begann mit plötzlicher Entschlossenheit einen neuen:
Meine liebste Belinda …
Auf einmal fühlte er sich nicht mehr so allein.
Das Herz eines Schiffes
Bolitho verharrte neben dem großen Ruderrad der
Helicon,
das erstaunlicherweise intakt geblieben war. Er hatte sich zu einer Inspektion des Decks gezwungen, um sich davon zu überzeugen, daß der Kampf wirklich schon zwei Wochen zurücklag. Auf dem Schiff sah es aus, als hätte er erst gestern gewütet.
Der Wind, der die Franzosen in dieses Gefecht geführt hatte, war einer Flautenperiode gewichen. Die letzten Meilen bis zum Treffen mit
Argonaute
waren für das Geschwader eine zusätzliche Tortur gewesen. Denn es lief noch eine hohe, ölige Dünung, auf der die harte, eher silberne als goldene Sonne die beschädigten Schiffe in der ganzen Unordnung der Niederlage bloßstellte.
An Deck schafften Matrosen von anderen Schiffen, denn aus Inchs Besatzung waren nur wenige arbeitsfähig geblieben. Das Knarren der Pumpen gemahnte an die Schäden, und aus einem Wirrwarr von Tauwerk und Taljen begann ein Notruder Gestalt anzunehmen. Bolitho fragte sich, wie das Schiff überlebt hatte: zerfetzte Decksplanken, große, getrocknete Blutflecken, umgekippte Geschütze, verkohlte Segelfetzen; nur die Toten fehlten, während die Verwundeten unter Deck jeder für sich um ihr Leben kämpften.
Das war kein Gefecht gewesen, sondern ein Gemetzel. Wäre
Barracouta
nicht unter Vollzeug angerauscht gekommen, hätte
Helicon
jetzt auf dem Meeresgrund gelegen. Wenn der Wind wieder auffrischte, mochte sie diese letzte Fahrt doch noch antreten.
Barracouta
hatte alle Vorsicht außer acht gelassen und bei dem Versuch, den Feind von seinem kalkulierten Angriff abzulenken, mehrere Tücher aus den Lieken gesegelt.
Allday fragte: »Warum kehren wir nicht zum Schiff zurück, Sir? Ein schönes Bad und eine Rasur würden Ihnen gut tun.«
Bolitho schaute ihn an. »Noch nicht.« Er war von der grausamen Zerstörung ringsum wie benommen. »Wenn ich diesen Tag jemals vergessen sollte, dann erinnere mich daran!«
Er sah Tuson unter der Poop stehen. Auch das Achterdeck war übel zugerichtet und verzogen. Es sah aus, als wäre es von einem Riesen, dessen Krallen große schwarze Narben hinterlassen hatten, zerquetscht worden. Viele waren hier gestorben, und noch viel mehr mußten künftig für diesen Tag büßen.
»Wie geht es ihm?«
Tuson musterte ihn leidenschaftslos. »Der Schiffsarzt hat ihm den Arm nicht weit genug abgenommen, Sir. Ich bin mit der Amputation unzufrieden und schlage vor …«
Bolitho packte ihn am Revers. »Verdammt noch mal, Sie reden hier von meinem Freund und nicht von einem Kadaver!« Dann wandte er sich ab und sagte leise: »Verzeihung.«
»Ich verstehe schon, Sir«, meinte Tuson. »Jedenfalls würde ich den Fall lieber selbst übernehmen.« Er verschwieg, was Bolitho bereits wußte: Der Schiffsarzt der
Helicon
hatte Inchs bereits ernste Verletzung mit seiner Behandlung noch verschlimmert. Fairerweise mußte man ihm zugestehen, daß er von der Flut verwundeter Männer, die ins Orlopdeck unter sein Messer oder seine Säge geschleift wurden, überfordert worden war.
»Ich muß ihn sehen.«
Tuson schaute Bolitho von der Seite an. »Versprechen kann ich nichts.«
Unter der Poop hing immer noch der Gestank nach Feuer und Blut, Tod und blinder Wut. Einige Kanonen lagen auf der Seite oder weit binnenbords, wohin sie der Rückstoß nach der letzten Breitseite getragen hatte, ehe die Crews hingemetzelt oder geflohen waren. Die Sonne schien durch verformte, schartige Stückpforten.
Das Hämmern von draußen wurde leiser, als Bolitho sich durch den Niedergang zu den Überresten der Messe vortastete.
Inchs Kajüte war völlig hinweggefegt, bis zur Unkenntlichkeit verkohlt, und beherbergte jetzt jene Überreste der Geschützbedienungen und Wachgänger, die bis zuletzt ausgehalten hatten. Hohläugige Männer schauten Bolitho an und traten dann beiseite, um ihn durchzulassen, ehe sie wieder an die Arbeit gingen, um das Schiff zu retten und für die Fahrt in einen Nothafen bereitzumachen. Doch das regelmäßige Knarren der Pumpen schien ihre Anstrengungen zu verhöhnen, und das Stöhnen der Verwundeten bildete eine düstere Untermalung.
In
Helicons
Offiziersmesse war es im Vergleich zum Oberdeck fast kühl. Der Wind, der durch die zersplitterten Heckfenster wehte, konnte den Raum
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