Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
Ihr
ist Schreckliches widerfahren. Durch Zufall habe ich einen Brief vom Sohn der Familie
entdeckt, vor gut drei Jahren, in der Sammlung über die Besatzungszeit in Esbjerg.
Darin schreibt er an seine Schwester, dass die Deutschen ihn zum Tode verurteilt
haben. Der Brief ist 1945 an eine Adresse in Hirtshals verschickt worden. Ich ließ
eine Kopie anfertigen, aber die Adresse brachte mich nicht zur Familie. In Hirtshals
konnte ich nur in Erfahrung bringen, dass der Vater auf einer Fahrt, als er Widerständlern
zur Flucht verhelfen wollte, auf eine Mine gelaufen ist und alle mit dem Boot untergegangen
sind. Die Mutter ist in den 60ern gestorben, und von der kleinen Tochter konnte
mir niemand mehr etwas sagen.«
»Können
wir diesen Brief vielleicht sehen?«, lässt Swensen vom Dänen übersetzen.
»Da müssten
Sie bis nach der Auktion warten, dann können wir kurz bei mir Zuhause vorbeifahren.
Ich wohne nur drei Dörfer weiter. Dort kann ich Ihnen auch eine Kopie von dem Brief
machen, wenn Sie wollen.«
Swensen
nickt und lässt den Dänen für das Angebot danken. Knud Abrahamowitz schaut demonstrativ
auf die Uhr und macht mit einer Handbewegung deutlich, dass er jetzt an seinen Arbeitplatz
muss. Vor der Tür wartet der Vollbart mit seinem Bauchladen-Laptop, an seiner Seite
noch andere Männer und eine Frau in derselben Aufmachung. Die Kriminalisten folgen
dem Tross, der geschlossen zum Auktionsgebäude hinübergeht. Davor warten bereits
einige Touristen, trotten hinter den vermummten Gestalten her in den riesigen Hallenraum.
Sofort ziehen sie fotografierend an den Fischkisten entlang. Swensen bemerkt, wie
Händler die Ware begutachten, einen flüchtigen Blick auf die Kiemen, Augen und die
glänzende Haut der Fische werfen, um gleich die nächste Kiste zu inspizieren. Dann
läutet Knud Abrahamowitz eine Schiffsglocke und erklärt die Auktion für eröffnet.
Er tritt hinter die Plastikkisten, rasselt in kaum verständlicher Sprechweise Zahlen
herunter, beobachtet gleichzeitig die Mienen der Großhändler. Der Zuschlag für den
Verkauf einer Partie erfolgt, indem er mit einem weißen Stock gegen die entsprechenden
Kisten klopft. Obwohl er sich anstrengt, gelingt es Swensen nicht, hinter das System
zu kommen, wonach der Auktionator den Höchstbietenden erkennt. Manchmal sieht es
so aus, als ob einer der Bieter nur die Augenbraue in die Höhe zieht oder kurz mit
dem Kopf nickt, um ein höheres Gebot kundzutun. Außerdem gibt es offensichtlich
auch Großhändler, die per Telefon und Internet ihre Ware ordern. Nach einer Stunde
wilden Trubels verlassen Haman, Swensen und der dänische Kollege durchgefroren die
Auktion und warten vor der Eingangstür auf das Ende. Die Sonne ist aufgegangen,
der Himmel über den Fischkuttern im Hafen brennt feuerrot.
*
Ove Toksvig hält konstant die erlaubten
80 km/h, steuert den Wagen gemächlich nach Hanstholm zurück. Ein wolkenloser Himmel
im satten Blau wölbt sich über den Hjardemålvej, der an hügeligen Wiesen mit Kühen,
Kornfeldern, Wäldchen und einzelnen Häusern entlangführt. Swensen ist mit seinen
Gedanken schon bei den Windsurfern, die er bei der Hinfahrt nach Vigsø im Vorbeifahren
an der Mole in Hanstholm gesehen hatte. Er trommelt nervös auf den Bezug der Rückbank,
malt sich aus, Kilian Martens könnte diesmal dabei sein. Er hätte am liebsten schon
vorhin angehalten, war aber stumm geblieben, weil sie dem Wagen von Knud Abrahamowitz
folgten. Jetzt kann die mögliche Chance von vorhin vielleicht schon vertan sein.
Die Sache
mit der Kopie des Briefes war nur eine kurze Angelegenheit. Sie warteten im Wagen
vor dem Haus des Auktionators, der ging hinein und reichte ihnen keine fünf Minuten
später das Schriftstück heraus. Auf der Rückfahrt hatte der Hauptkommissar dann
aber darauf bestanden, zurück zu dem Surfspot bei den Windrädern zu fahren.
»Dass Abrahamowitz
ausgerechnet in Vigsø wohnt, ist schon ein wenig paradox«, sagt Ove Toksvig mehr
zu sich selbst. Aber seine Stimme ist so laut, das Haman und Swensen ihn verstehen
können.
»Auf den
ersten Blick ist es doch ein nettes Örtchen«, reagiert die Hauptkommissarin. »Zu
viele Siedlungsanlagen mit Ferienhäusern für meinen Geschmack, aber dafür hat man
das Meer gleich vor seiner Haustür.«
»Aber wir
waren nicht am Strand, der ist voll mit Bunkerruinen. Da liegen bestimmt 20 Betonklötze
herum, eine ganze Armada. Mit solch einem Familienhintergrund, da hätte ich mir
schon ein schöneres Stück
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