Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
Mann
ist sozusagen das Gehirn des Auktionators«, erklärt Ove Toksvig. »Er erstellt eine
Liste, in wie vielen Kisten sich welcher Fisch befindet. Er ist während der Auktion
immer an seiner Seite. Und der Auktionator, den wir suchen, ist im Haus gegenüber.«
Es ist kurz
vor Sonnenaufgang, als sie zu dem kleinen Bürogebäude hinübergehen. Über der Leuchtschrift
am Dach ›Hanstholm Fiskeauktion‹ sind erste rötliche Streifen am schwarzvioletten
Himmel zu sehen. In einem großzügigen Raum mit Gemälden von Fischern bei der Arbeit
sitzt ein breitschultriger Mann vor einem Computer und surft auf irgendeiner Internetseite.
Er hat ein kantiges Gesicht, einen Dreitagebart und Hände, breit wie Schaufeln.
Nur zögerlich hebt er den Kopf, als der Däne mit seinem Anhang durch die Tür tritt.
»Tysk Politi?«,
fragt er und sieht dabei Silvia Haman an. »Er I kommet helt Frau Tyskland for at
snakke med mig?« (Sie sind extra aus Deutschland gekommen, um noch mal mit mir zu
reden?)
»Es sind
leider einige Fragen offen geblieben«, antwortet Silvia auf Dänisch, und Ove übersetzt
die Worte flüsternd in das Ohr seines deutschen Kollegen.
»Um sieben
Uhr beginnt die Auktion, ich habe höchstens noch 20 Minuten.«
»Das wird
reichen, Herr Abrahamowitz«, beruhigt die Hauptkommissarin. »Wir möchten nur etwas
über den Streit wissen, der kurz vor dem Tod mit Herrn Eschenberg stattgefunden
hat. Uns ist bekannt, dass es dabei um die Bunkerruinen gegangen ist, die während
des Krieges gebaut wurden.«
»Die Deutschen
haben Dänemark 1940 ohne formale Kriegserklärung angegriffen. Dänemark hat mit Deutschland
nie einen Kriegszustand gehabt.«
»Ich … ich
… davon habe ich keine Ahnung«, sagt Silvia Haman und schaut etwas verlegen auf
ihre Hände.
»Sie sollten
das aber wissen, Sie sind Deutsche. Es ist Ihre verdammte Geschichte.« Der Mann
ist aufgestanden, er spricht mit gelassener Stimme, die seine Worte Lügen straft.
»Und genau darum ging es in diesem Streit. Ole hatte auch keine Ahnung, was alles
in Dänemark passiert ist. Das hat mich geärgert. Ich ärgere mich immer, wenn irgendein
Deutscher sich arrogant aufführt. Ole hat das getan, und deshalb gab es den Streit,
das ist alles.«
»Es ist
eine sehr hohe Erwartung an einen Deutschen, besonders wenn er erst nach dem Krieg
geboren wurde. Wer kennt schon die gesamte Geschichte des Zweiten Weltkriegs.«
»Wenn jemand
keine Ahnung hat, kann ich das gerade noch akzeptieren, aber wenn er dazu noch arrogant
ist, dann ärgere ich mich eben.«
»Und wie
drücken Sie Ihren Ärger aus?«
»Ich bringe
niemanden um!«, Abrahamowitzs Stimme ist plötzlich gereizt. »Ich hoffe nicht, Sie
wollen von mir jetzt ein Geständnis hören. Ich habe gute Gründe, über die deutsche
Geschichte ärgerlich zu sein.«
»Weil Sie
jüdischer Herkunft sind. Jedem Deutschen ist bekannt, was die Nazis den Juden angetan
haben.«
»Das scheint
nicht zu stimmen«, sagt der Mann und er spricht wieder ruhig und besonnen. »Zumindest
scheinen Sie keine Ahnung zu haben, was die Nazis den Juden in Dänemark angetan
haben. Meine Großeltern waren seit Jahrzehnten Bürger in diesem Land, sie wurden
hier geboren, waren Dänen, und als die Deutschen kamen, mussten sie ohne Grund um
Leib und Leben fürchten. Man hätte sie, genauso wie meinen Vater und meinen Onkel,
ins Konzentrationslager gesteckt, wenn nicht die Nachbarn sie mit einem Fischerboot
nach Schweden gebracht hätten.«
Silvia Haman
steht angespannt vor dem Schreibtisch, reibt über ihre Unterlippe, als könnten dadurch
die passenden Worte freikommen. Nach einer Zeit des Schweigens hat ihre Fragestrategie
keinen Boden mehr: »Ihre Familie hat überlebt?«
»Ja, sie
hat überlebt und ist nach Dänemark zurückgekehrt. Mein Großvater war den Nachbarn
unendlich dankbar, hat mir mein Vater später erzählt, er wollte sich unbedingt bei
der Familie Stræde bedanken. Leider hat er es nicht geschafft.«
»Das ist
sehr schade«, sagt Silvia Haman mitfühlend. Sie ist aus dem Konzept, ihre Fragen
scheinen ihren Sinn verloren zu haben.
»Familie
Stræde hat nicht mehr in der Barackensiedlung gewohnt, aus der meine Familie flüchten
musste. Mein Großvater hat wohl lange versucht, den neuen Aufenthaltsort herauszufinden.
Selbst mein Vater hat sich nach seinem Tod weiter bemüht, hat sich im Umkreis der
ehemaligen Siedlung umgehört, Leute gefragt. Nichts!«
»Sie wissen
bis heute nicht, was aus der Familie geworden ist?«
»Doch!
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