Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
weit ist das entfernt?«
»Mindestens
40 Minuten«, schätzt der Däne.
»Was sollen
wir machen? Fahren wir hin und schauen nach, oder …?«, grübelt Swensen und schaut
Silvia an, die demonstrativ mit den Achseln zuckt.
»Einen Vorschlag«,
springt Ove der Kollegin zur Seite, »wir machen eine kleine Pause, könnten zum Kirsten
Kjær Museum fahren, ist von hier nur ein … äh, Kaatz …«
»Katzensprung«,
hilft Silvia weiter.
»Katzensprung?«,
echot der Däne. »Dort kann man im Garten vor dem Museum sitzen, in der Sonne. Ihr
könnt euch die Bilder anschauen, und ich habe ein wenig Zeit, mit ein paar alten
Surfkumpeln zu telefonieren. Danach, das verspreche ich, schnappen wir uns euren
Kilian.«
Erkenne den Strom des Lebens,
passe dich dem Rhythmus der Ereignisse an . Es ist Swensens eigener Satz,
der ihm gerade einfällt. Er hat ihn für eines der Fotos von Hollmann ersonnen. Vielleicht
sollte ich mal auf mich hören, denkt er und findet den Vorschlag des Dänen plötzlich
richtig verlockend. »Okay, lasst uns diese unsinnige Phantomjagd unterbrechen! Etwas
Kultur kann meiner eingerosteten Intuition vielleicht wieder auf die Sprünge helfen.«
Swensen
klettert wie selbstverständlich auf die Rückbank. Der Platz auf dem Beifahrersitz
wird offensichtlich von Silvia Haman beansprucht. Die knisternden Blicke, die zwischen
Ove und ihr hin und her gehen, sind nicht zu übersehen. Dem Hauptkommissar war auch
nicht entgangen, dass der Däne morgens schon um fünf Uhr in der Hotellobby stand.
Eigentlich
kann man eins und eins zusammenzählen, denkt er, aber die Sätze, die er für Peter
Hollmanns Fotos notiert, mahnen ihn, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. »Alle
Dinge der Welt sind im Kern leer und nur eine Illusion deiner Sinne.« Er schließt
die Augen und sieht das wellenartige Binsengras vor sich.
»Es ist
keine Illusion! Da läuft etwas zwischen den beiden!«, widerspricht etwas hartnäckig
in ihm.
Er hält
die Augen weiterhin geschlossen, als könne seine Meinung mit offenen Augen wie eine
Seifenblase zerplatzen. Doch dann rüttelt ein holpriger Feldweg seine Lider wieder
nach oben. Das letzte Stück der Fahrt geht durch ein Wäldchen und endet auf einem
Parkplatz. Grobe Holzskulpturen, aus Baumstämmen herausgeschlagen, stehen über das
ganze Gelände verteilt. Der Museumskomplex ist ein verschachtelter Holzbau, rotbraun
angestrichen. Vor dem Haupteingang ist ein großes Bronzeporträt von Kirsten Kjær
aufgestellt. Das Bildnis hat ein faltiges Gesicht und einen verkniffenen Mund. Swensen
sieht eine gewisse Ähnlichkeit zu der Schauspielerin Brigitte Mira. John Anderson
und Harald Fuglsang, langjährige Wegbegleiter der Künstlerin, empfangen die neuen
Gäste vor der Tür.
»Das war
Kirsten Kjærs Sommerresidenz«, nuschelt einer der kauzigen alten Herren auf Englisch
und deutet auf ein reetgedecktes Haus. »Heute leben dort Gastkünstler aus aller
Welt.«
Bevor die
Kriminalisten das Museum besichtigen dürfen, werden sie in einen kleinen Vorführraum
gebracht und bekommen ein kurzes Video in deutscher Sprache über die Malerin zu
sehen. Das ungewöhnliche Künstlerinnenleben in knappen 15 Minuten:
Kirsten
Kjær lebte von 1893 bis 1985. Schauspiel-Versuche auf der Bühne. Psychiatrischer
Klinikaufenthalt. Mit 32 Jahren beginnt sie zu malen. 1926 erlebt sie ihre künstlerische
Befreiung in den USA. 1930 in Paris und auf Mallorca. 1943 hilft sie politischen
Emigranten in Dänemark. Nach der Besatzungszeit malt sie in Lappland, Island, Tunesien
und Liberia. Sie hinterlässt über 180 Gemälde und 100 Zeichnungen und hat nie eine
internationale oder auch nur nationale Anerkennung erfahren.
Während
Silvia und Ove gegen eine Spende Kaffee und Kuchen nehmen und sich in mittlerweile
trauter Zweisamkeit absetzen, schlendert Swensen allein hinein in das Labyrinth
aus langgezogenen Galerien und kleinen Räumen mit plüschigem Wohncharakter. An den
Wänden, in Nischen und Erkern hängen dicht an dicht Ölbilder von Frauen und Männern.
Durch die offenen Türen wird der Rundgang vom Gezwitscher der Vögel aus dem Wald
begleitet. Vor einem Klavier liegt einer der beiden Museumshunde in der Sonne, die
durch die schrägen Fenster fällt. In einem zweistöckigen Galerieraum trifft Swensen
auf das Porträt aus seinem Hotelzimmer, doch diesmal steht er vor dem Original.
Ein Schild lüftet das Geheimnis um den Namen der Gemalten, es ist die große Asta
Nielsen, die weltberühmte dänische Stummfilmdiva.
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