Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
wendet sich ab und geht langsam weiter. Swensen folgt ihr.
Sie verabschiedet sich mit einem festen Händedruck und betritt den Klosterladen.
Er geht den schlammigen Feldweg hinunter, schaut von oben auf Rüdesheim und das
beeindruckende Rheintal und bestellt sich mit dem Handy ein Taxi, das ihn unten
vom Parkplatz abholen soll.
*
Seit einer halben Stunde ist es
dunkel. Swensen fühlt sich todmüde, als die Lichter des kleinen Örtchens Skjoldborg
rechts neben der Straße im Seitenfenster vorbeiziehen. Silvia fährt stoisch die
gleiche Geschwindigkeit und ist bereits die ganze Fahrt von Husum aus nicht sonderlich
gesprächig. Die Scheinwerfer der entgegenkommenden Fahrzeuge schmerzen auf seiner
Bindehaut. Er schließt die Augen und gerät unwillkürlich in den Sog der letzten
beiden Tage, in denen sich die Ermittlungen im Mordfall Oleander Eschenberg rasant
zugespitzt haben.
Nachdem
der Hauptkommissar in der Frühbesprechung von Stephan Mielke erfährt, das Freja
Sjøqvist tatsächlich an dem Mordtag in dem Flensburger Hotel gesehen wurde, in dem
auch Kilian Martens ein Zimmer gebucht hatte, vertritt der Kriminalist seine These
eines Mordkomplotts noch einmal vehement.
»Wir können
nicht ausschließen, dass dieses Verbrechen von beiden gemeinsam ausgeheckt worden
ist«, sagt Swensen mit Druck in der Stimme. »Wahrscheinlich ist der Dänin eine Sicherung
durchgebrannt, als sie von ihrer Mutter erfuhr, dass der Großvater ihres Geliebten
ihre Großmutter vergewaltigt hat.«
Gleich nach
der Sitzung ruft Colditz beim LKA in Kiel an, damit von höherer Stelle bei der Kripo
in Thisted um Amtshilfe nachgefragt wird. Die dänischen Kollegen sollen umgehend
tätig werden und so schnell wie möglich einen DNA-Test bei Freja Sjøqvist durchführen.
Im Team der ›Soko Hai‹ sind die Meinungsverschiedenheiten ausgeräumt, die Stoßrichtung
wird von allen getragen. Aber die Beamten sind sich auch im Klaren: Swensens Theorie
hat nach wie vor einen entscheidenden Haken. Selbst wenn der Test der Dänin ein
verwandtschaftliches Verhältnis mit der Familie Eschenberg und Kreuzhausen ermitteln
kann, ist das noch immer kein Beweis, das Freja und Kilian den Mord auch wirklich
begangen haben. Aus dieser Unsicherheit heraus kann Swensen Colditz davon überzeugen,
dass Silvia und er erneut nach Dänemark reisen müssen, um bei dem Verhör von Freja
und Sandi Sjøqvist dabei zu sein.
»Erfolg im Leben haben heißt nicht,
dass wir eine Stellung erringen, die uns das Gefühl gibt, andere zu beherrschen.
Erfolgreich sein heißt vor allem, die anderen dazu zu bringen, uns zu lieben.«
Immer wenn
die Stimme des Meisters in ihm auftaucht, ist es höchste Zeit, ins Hier und Jetzt
zurückzukehren. Swensen öffnet die Augen. Vor ihm tanzen die Lichter der Stadt auf
den Wellen des Limfjords.
Geht es
wirklich nur darum, dass man geliebt werden will, zweifelt Swensen.
Es geht
leicht bergab, der Dienstwagen kommt an einem Aldi vorbei und fährt in einer langen
Rechtskurve an der Küste entlang bis zum ersten Kreisverkehr, weiter an zwei Tankstellen,
einem zweiten Rondell und an einem alten Backsteingebäude vorbei in die Innenstadt.
Die Uhr auf dem Turmerker zeigt auf kurz vor zehn Uhr. Wenige Minuten später checken
Silvia Haman und Jan Swensen erneut im Hotel Thisted ein. Der Kriminalist ist erfreut
darüber, dass er dasselbe Zimmer bekommt. Das vertraute Gesicht von Asta Nielsen
strahlt ihn mit einem schiefen Lächeln aus der Goldumrandung an, als er seine Reisetasche
neben dem Bett abstellt. Er fischt Duschzeug und Zahnpflege heraus und verschwindet
im Bad. Die heiße Dusche spült den Tagesdreck und seine Gedanken in den Abfluss.
Doch im Bett kann er trotz Müdigkeit kein Auge zumachen, wälzt sich unruhig von
einer Seite auf die andere. Es ist kurz nach Mitternacht, als er das erste Mal aus
unruhigem Schaf erwacht. Nach dem dritten Erwachen zeigt die Armbanduhr auf dem
Nachttisch 3.25 Uhr. Swensen ist hellwach, steht miesepetrig auf und zieht seine
Kleidung an. Er beschließt, zur Beruhigung einen kleinen Spaziergang durch die Stadt
zu machen. Auf der Treppe vor dem Eingang trifft er auf eine dichte Nebelwand. Der
große Parkplatz vor dem Hotelgebäude wird von diffusen Lichtkreisen erleuchtet.
Die nahe Kirche ist im Dunstschleier schon nicht mehr zu sehen. Er hat den Platz
fast überquert, als er vor dem Brugsen Supermarkt eine schemenhafte Frauengestalt
in einem hellen Regenmantel an der Tankanlage stehen sieht. Soweit er
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