Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
Ich trage meine Schande doch nicht
wie eine Dornenkrone mit mir herum! Glaubst du vielleicht, deine Großmutter hat
mir erzählt, was ihr unter den Deutschen zugestoßen ist? Lange Zeit habe ich Aase
die Schuld daran gegeben. Sie hat mir verboten, mich mit irgendwelchen Jungen abzugeben
oder etwa zum Tanzen zu gehen. Als junges Mädchen saß ich jedes Wochenende in meinem
Zimmer und habe gelesen, während meine Freundinnen in die Diskothek gingen. Ich
war schon eine junge Frau als ich diesen Mann getroffen habe, auf der Straße. Ich
fand ihn aufregend. Er hatte ein Auto, war gerade aus Deutschland gekommen und wollte
mich mit in die Stadt nehmen. Ich war so was von naiv, bin gedankenlos eingestiegen.«
Swensen hält die Luft an, klebt
förmlich am Bildschirm, während Silvia Haman neben seinem Ohr den Rest des Satzes
übersetzt. Die Tochter steht bewegungslos, mit versteinertem Gesicht, neben dem
Stuhl ihrer Mutter, ohne sie anzublicken. Ihr Schluchzen scheint sie nicht zu berühren.
Erdrückendes Schweigen im Raum, als hätten Enttäuschung und Verbitterung ihr jegliches
Gefühl betäubt. Swensen verfolgt die Szene so angespannt, dass ihm der Nacken schmerzt.
In seinem Kopf hämmert nur ein Gedanke: Jetzt kommt der entscheidende Moment.
»Aber du bist genauso naiv, Freja!
Du schleppst blauäugig einen Geliebten ins Haus, dessen Großvater dieser Heinrich
Kreuzhausen ist!« Sandi Sjøqvists Stimme schneidet durch die dicke Luft der Stille.
»Ein Verbrecher ist das! Ein Verbrecher, wie alle diese Deutschen! Heinrich Kreuzhausen
hat deine Großmutter vergewaltigt. Wahrscheinlich hat er sogar ihren Bruder umgebracht.
Ich bin bei der Nonne in Deutschland gewesen. Sie war die Freundin deiner Großmutter
und hat diesen Kreuzhausen erkannt. Er hat meine Mutter im Auto verschleppt. «
»Woher weißt
du das alles!? Das kannst du gar nicht wissen!«
Die Tochter ist vor den Stuhl der
Mutter getreten. Die Augen scheinen sich ineinander zu bohren, beide verharren Aug
in Aug. Die Sekunden ziehen sich in die Länge. Der Hauptkommissar hält den Atem
an, fixiert das Gesicht von Freja, die den Blickkontakt mit ihrer Mutter hält, bis
die es nicht mehr schafft und den Kopf senkt.
»Großmutter
hat Zeitungsartikel ausgeschnitten und gesammelt, Zeitungsartikel über die Besatzungszeit
in Dänemark. Sie hat alle sorgfältig in ein Heft geklebt, und darin habe ich diesen
Kreuzhausen entdeckt. Großmutter hat sein Gesicht mit einem roten Stift umkreist.«
»Und woher
wusstest du, dass es der Großvater von Oleander ist? Du hast den Mann nie gesehen,
bis wir auf der Beerdigung waren! Du kannst ihn unmöglich erkannt haben!«
»Dein Foto!
Darauf habe ich ihn erkannt!«
»Auf welchem
Foto?«
»Das Foto
auf deinem Schreibtisch.«
»Das Kinderfoto
von Oleander, das er mir geschenkt hat?«
»Da war
der Großvater drauf. Ich habe es mitgenommen und mit dem Zeitungsfoto verglichen.«
»Du hast
es mitgenommen?«
»Ja!«
Freja Sjøqvist greift nach einem
leeren Stuhl, wirft in durch den Raum. Ein lauter Knall ist zu hören, und der Stuhl
rutscht über den Boden wieder ins Fernsehbild zurück. Ove Toksvig springt auf und
stürzt zur Tür, doch Swensen ist schneller. Er packt den Kollegen fest an der Schulter
und hält ihn zurück. »Du darfst jetzt auf keinen Fall da rein, Ove! Das muss so
weiterlaufen, sonst gibt es kein Geständnis!«
»Ich habe dir mehrfach gesagt, lass
die Finger von diesen elenden Deutschen. Aber meine Tochter hat ihren eigenen Kopf!
Und dann auch noch ein Kind, ein Kind von diesem Kerl! Das musste ich doch verhindern!
Was sollte ich denn sonst machen, du wolltest einfach nicht auf mich hören, wolltest
unter keinen Umständen abtreiben. Und dann …, dann willst du plötzlich das Kind
mit einem anderen Deutschen aufziehen? Das konnte ich nicht zulassen!«
»Wo warst
du gestern Abend, Mutter?«
»Hast du
nicht gehört, was ich dir gerade gesagt habe?«
»Als ich
gestern vom Surfen kam, da bin ich bei dir gewesen, Mutter, an deinem Haus. Es brannte
kein Licht, und es war schon ziemlich spät. Wo warst du gestern Abend? Kilian hat
mich in der Nacht angerufen und mir erzählt, was ihm passiert ist. Du warst dort
in Thisted!«
»Ja, ja,
ja! Ich war in Thisted! Du verkaufst dein Kind nicht an diesen Deutschen, das verspreche
ich dir.«
»Sag sofort,
dass du das nicht gemacht hast, Mutter! Du hast Oleander nicht umgebracht! Mutter,
sag es!«
»Jemand
musste es machen, Freja! Jemand musste
Weitere Kostenlose Bücher