Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
Zuschlag.«
Frau Misugis
Augenschlitze gleichen denen einer Katze auf Beutejagd, ihr Kopf wiegt langsam hin
und her, und sie nimmt jede Zeichnung in aller Ruhe noch einmal in die Hand.
»Ich werde
sie nehmen«, sagt sie plötzlich, verschwindet hinter der Kasse und kommt mit einem
Bündel Euronoten in der Hand zurück. Langsam zählt sie die Scheine vor Oleander
auf den Tisch. Der greift rasch nach dem Geld, als könnte sie sich noch anders entscheiden,
faltet es zusammen und steckt es lose in die Innentasche seiner Jacke.
»Ich bewundere
Ihren Geschmack, Frau Misugi. Sie haben eine gute Wahl getroffen.«
»Kunst hat
die Fähigkeit, uns für einen Moment den Atem zu nehmen, Herr Eschenberg. Wer Schönheit
betrachtet, wird ein guter Mensch.«
»Falls Sie
die anderen Arbeiten doch noch interessieren sollten, rufen Sie mich einfach an,
Frau Misugi.«
»Der Tod ist ein einziges, riesiges
Händchenhalten.«
Worte über
den Tod, die Horst Janssen seiner Mutter einmal auf einen Zettel geschrieben haben
soll. Sie gehen Oleander durch den Kopf, bleiben als ambivalentes Gefühl zurück,
als er mit seiner noch gut gefüllten Mappe wieder auf die Storegade tritt und den
Weg in Richtung Hafen einschlägt. Alles, was er über diesen Hamburger Künstler weiß,
hat er von seiner Mutter.
»Der Janssen
war ein Bürgerschreck und Grenzüberschreiter, da warst du noch gar nicht geboren«,
hat sie bei seinem letzten Besuch vor vier Wochen zu ihm gesagt und versucht, die
alten Zwistigkeiten zu beenden. Sie ist mit ihm auf den Dachboden gegangen und hat
ihm die versteckten Arbeiten von Janssen gezeigt. Er hat es im Nachhinein nur als
eine unbewusste Anspielung auf ihre eigene, gescheiterte Ehe gedeutet.
»Dein Vater
darf auf keinen Fall wissen, dass solche Zeichnungen sich in unserem Haus befinden,
versprichst du mir das? Für Vater war der Janssen immer ein Scharlatan und seine
Bilder talentloses Krickelkrackel. Ich möchte, dass du sie einmal bekommst, Oleander,
verstehst du? Wenn ich einmal nicht mehr bin, sollst du sie alle haben!«
»Red nicht
so ’n Zeug, Mutti. Du wirst uns alle überleben.«
»Was weißt
du vom Tod, mein Junge. Du bist jung und gesund. Ich werde langsam alt, das geht
schneller, als es einem lieb ist. Janssen sagte immer, der Tod ist jederzeit in
unserer unmittelbaren Nähe, er ist Ewigkeit und Gleichgültigkeit gemeinsam.«
Kein Wunder, dass sich das Zeug
schwer verkaufen lässt, denkt Oleander angepisst und spürt erneut seinen Ärger über
den Misserfolg seines ersten Verkaufsversuchs. Wer will sich auch den Tod ansehen,
wenn er sich ein Bild an die Wand hängen möchte.
Oleander
hat keine Vorahnung, kein Gespür, dass der Tod bereits auf dem Weg zu ihm ist, um
ihm seine Hand entgegenzustrecken, bereit zu einem einzigen, riesigen Händchenhalten
für alle Ewigkeit.
Mit der
sperrigen Mappe unter der Achsel stapft Oleander die Fußgängerzone hinunter und
überlegt kurz, ob er draußen vor einem Café einen Cappuccino trinken soll. Doch
alle Sonnenplätze sind bereits besetzt. Er beschließt, das Café am Hafen zu nehmen
und spürt gleichzeitig, wie er nasse Füße bekommt. In den Steinplatten sind kleine
Wasserstraßen eingelassen. Oleander sucht am Rande des Einkaufsgetümmels einen Platz,
um abseits vom Fußgängerstrom die nassen Socken auszuziehen. An der blau gestrichenen
Hauswand gegenüber ist die weiße Silhouette von drei Männern zu sehen, daneben steht
in großen Buchstaben: Kino 1-2-3. Das muss die Olsenbande sein!
Oleander
erinnert sich an die zwei Männer vom Olsenbande-Fan-Club-Deutschland und ihre gemeinsame
Schmalspurfahrt. Die Deutschen hatten von einem Kino in Thisted gesprochen, von
ihrem Gespräch mit der Besitzerin Dorte Gade und der Suche nach den Drehorten in
der Stadt. Aus ›Krabbe’s Konditori‹ ist ein Haushaltselektronikladen geworden. Im
Film haben Benny, Børge, Yvonne und Kjeld dort genüsslich Kuchen gegessen, während
Egon das Falschgeld in der Sparkasse umtauschen wollte und geschnappt wurde. Die
›Sparekassen Thy‹ wurde auch eingebaut, hatten die vom Fan-Club erzählt.
Oleander
findet sie kurze Zeit später, jetzt mit nackten Füßen in seinen Sandalen, und hebt
Kronen am Automaten ab. Danach marschiert er über den Kreisverkehr am Thisted Kystvej
zum Hafengelände am Limfjord hinüber, vorbei an den blitzblanken Segelyachten. Den
Cappuccino muss er sich drinnen im Café holen, Selbstbedienung. Er setzt sich an
einen der sonnenbeschienenen Tische
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