Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
zierlichen Hände haben kleine braune Flecken.
Vorsichtig, wie zerbrechliches Pergament, schieben die langen Finger die Tuschezeichnungen
auf einem Tisch des Sushi-Restaurants hin und her.
»Schön,
aber anders«, sagt die Japanerin bedächtig, als spreche die feine Stimme nur mit
sich selbst. Dann schaukelt der Kopf nachdenklich zur Seite und zurück. »Es fehlen
die dominanten Linien, die ich gerne mag. Die Blätter sind sehr zurückhaltend, haben
kaum Komposition. Das dunkle Moor, schauen Sie, zarte Flächen und Flecken mittendrin.
Dazu ein herabgezogener, heller Horizont. Wie er mit Lichtpartien spielt, sehr ungewöhnlich.«
»Die Arbeiten
gefallen Ihnen nicht?«, fragt Oleander vorsichtig. Er hat bereits die Landschaftsradierungen
von Janssen an den Wänden entdeckt, die sich wie Ausrufezeichen vom schlichten Purismus
der Inneneinrichtung abheben.
»Das nicht.
Ich hatte nur etwas anderes erwartet. Wir Japaner lieben diesen deutschen Künstler
in erster Linie wegen seiner Landschaften. Die beiden Blätter, die Landschaften
zeigen, würden mir schon gefallen. Aber, entschuldigen Sie, die unanständigen Arbeiten
sind mir sehr fremd, genauso wie die Zeichnungen dieser Tänzerin mit dem Mann an
ihrer Seite. Ich finde sie bedrohlich, fast diabolisch.«
»Es ist
der Teufel! Sie haben einen außergewöhnlichen Blick«, schmeichelt Oleander der Frau,
und in seinem Kopf schwingen die Worte seiner Mutter mit, die ihm gerade diese vier
Tuschezeichnungen einmal detailliert erklärt hat. »Der Teufel, den Sie da sehen,
verehrte Frau Misugi, ist kein Geringerer als der Künstler selbst, eins der vielen
Selbstbildnisse von Horst Janssen. Auf den vier Bildern hat er sich selbst als Teufel
dargestellt, der das arme Mädchen, das er im Arm hält, gnadenlos zu Tode tanzt.«
Die alte
Japanerin führt erschreckt die Hand vor den Mund. Oleander beginnt zu ahnen, dass
es mit einem spontanen Verkauf eher nicht klappen wird.
»Meine Mutter
liebt die Bilder von Janssen über alles«, hatte ihm Risako, die Tochter der Japanerin,
vor gut zwei Jahren mit felsenfester Überzeugung versichert. Die Mutter hätte eine
umfangreiche Janssen-Sammlung.
Oleander war der bildschönen Asiatin
damals beim Surfen auf Okinawa begegnet, auf irgendeiner dieser Partys am Strand.
Ihr japanischer Akzent und die langen schwarzen Haare hatten ihn nervös gemacht.
Die verrückte Tatsache, eine Japanerin in Japan zu treffen, die eigentlich seit
Jahren in Dänemark lebt, war so abgedreht gewesen, dass sich der Reiz noch potenziert
hatte. Alles kam zusammen. Niels Skov, ihr dänischer Freund, war Oleander zu dem
Zeitpunkt noch ein Unbekannter. Freja bestritt gerade in Kalifornien einen Wettkampf
vor Encinitas, war für eine Woche nicht da. Die Affäre mit Risako dauerte genau
diese eine Woche, in der Oleander und die Japanerin am Strand schliefen, in der
Nacht vögelten und den lieben langen Tag surften. Und während Oleander ihr ins Ohr
flüsterte, dass der Sex mit ihr sensationell sei, erzählte sie ihm von ihrer dominanten
Mutter, die in Thisted, im fernen Dänemark, ein gutgehendes Sushi-Restaurant betreibe
und sie völlig vereinnahme, sobald sie sich daheim sehen ließe.
»Seine Selbstbildnisse sind voller
Grauen!«, presst die Japanerin hervor und schließt angewidert die Augen. »Diese
voluminösen Münder und diese fetten Gesichter mit den runden Augenlöchern, das ist
nicht schön, ganz und gar nicht. Ein Teufel, der ein nymphenhaftes Mädchen zum Tanzen
verführen will, kommt nicht wie ein Sittenstrolch daher. Nein, Herr Eschenberg,
diese Zeichnungen möchte ich nicht besitzen.«
»Aber es
geht doch gerade um das Abgründige, Frau Misugi. Das Gesicht des Künstlers ist wie
eine bewegte Landschaft gezeichnet«, mobilisiert Oleander seine letzten Englischkenntnisse,
um das Geschäft zu retten. »Es sind völlig unbekannte Blätter, unbezahlbar, die
im gesamten Werk von Horst Janssen ihresgleichen suchen. Solche Arbeiten werden
Ihnen nicht ein zweites Mal angeboten.«
»Ich suche
Harmonie und Schönheit, wenn ich Kunst kaufen möchte. Die Landschaftsbilder haben
viel mit unserer japanischen Kultur zu tun, die verstehe ich. Sagen Sie einen guten
Preis, und ich kaufe Ihnen die beiden Landschaften ab.«
»Ich wollte
die Blätter nur zusammen hergeben«, taktiert Oleander. »Wenn ich zwei Arbeiten separat
anbiete, müssten Sie mir mindestens 10.000 Euro pro Blatt bieten.«
»Sagen wir
15.000 Euro zusammen.«
»Bei 18.000
haben Sie den
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