Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
schließlich vor erbkrankem Nachwuchs schützen.«
»Sie haben
Ihren Ludwig aber trotzdem geheiratet, das heißt, Sie haben sich nicht an die Worte
Ihres Vaters gehalten.«
»So ist
es, ich hatte meinen eigenen Dickschädel!«
»Und Ihre
Mutter?«
»Die ganze
Familie hat mich verstoßen, ohne ein Wort, hat nicht mehr mit mir gesprochen. Mir
war das egal, Kindchen, du weißt ja selbst: Wo die Liebe hinfällt.«
»Aus der Erde sind wir genommen,
zu Erde sollen wir wieder werden, Asche zu Asche, Staub zu Staub«, spricht der Pastor,
greift eine Handvoll Erde, die neben dem Urnenloch liegt und wirft sie mit den Worten
»Ruhe in Frieden« hinein. Der Klang der Kirchenglocken weht aus der Ferne herüber.
Maria Teske stellt fest, dass sie die Beerdigungszeremonie nur beiläufig mitbekommen
hat. Meist war sie mit ihren Gedanken bei ihrer lebenden Großtante.
Jetzt macht
sie den letzten Gang zu ihrem Grab, wirft mit dem kleinen Spaten drei Schaufeln
Erde auf die Urne, die in dem mit Tannengrün umkränzten Loch verschwunden ist, bedankt
sich beim Pastor und geht mit zügigen Schritten in Richtung Friedhofsausgang davon.
Die Inschrift auf dem alten Grabstein, der hinter dem Urnenloch aufgestellt war,
hat sie noch deutlich im Kopf.
Ludwig Dullweber * 11. März
1909 † 15. April 1944
Traudl Dullweber * 23.
April 1935 † 15. April 1944
Meine Großtante hatte ein Kind,
grübelt Maria Teske, das am selben Tag wie sein Vater gestorben ist, gegen Ende
des Krieges. Was ist da nur passiert, damals?
Sie geht
an der grasbewachsenen Friedhofsmauer den gepflasterten Totengang entlang, durch
den Fischergang zum Marktplatz hinüber. In Höhe des Sky-Supermarkts ist das Alte
Rathaus zu sehen, in dem sich heute eine Touristeninformation befindet. Der Journalistin
schwebt unwillkürlich ein stumpf gewordenes Foto mit Zackenrand vor Augen, das Hertha
Dullweber ihr nach dem Gespräch gezeigt hatte. Der offene Mercedes von Adolf Hitler
ist darauf zu sehen, wie er an der Spitze einer Fahrzeugkolonne durch Husum fährt.
Zu beiden Seiten der Straße ein Spalier von Menschenreihen, alle den rechten Arm
zum Hitler-Gruß hochgereckt, selbst die Treppe zum Alten Rathaus hinauf ist mit
Jubelnden vollgestellt. Auf der Rückseite steht in ungelenker altdeutscher Tintenschrift
das Datum 29. August 1935.
Die Treppe
zum Alten Rathaus ist leer, stellt Maria Teske mit gemischten Gefühlen fest. Die
Großstraße vor dem Marktplatz geht sie fast jeden Tag mehrmals entlang. Etwas weiter
oben steht das Redaktionsgebäude der ›Husumer Rundschau‹. Diese Straße ist für sie
etwas durch und durch Alltägliches. Doch nach dem Besuch bei Hertha Dullweber hat
das Bild, einer Fata Morgana der Vergangenheit gleich, ihren unschuldigen Blick
auf das heutige Husum für immer verändert.
Bei ihrer
damaligen Recherche war sie unter anderem auch auf das nicht weit entfernte Dorf
Wittbek gestoßen. Adolf Hitler hatte dort die Ehrenbürgerschaft angenommen, weil
die Bürger bei den Kommunalwahlen fünfmal hintereinander alle Stimmen für die NSPAP
abgegeben hatten.
Wer heute
darüber nachdenkt, sinniert die Journalistin, kann das alles nicht wirklich begreifen.
Genauso wird es wahrscheinlich auch den Menschen damals gegangen sein, als nach
der Eingemeindung von Rödemis und Osterhusum endlich genug Baugrund für die geplanten
Militärbauten bereit stand. Bis Ende 39 sind 6.000 Soldaten nach Husum gebracht
worden, die Stadt ist über Nacht zu einer Garnisonsstadt geworden. Alle großen Säle
wurden mit Militär belegt, die Schulen mit Arbeitssoldaten. In der Theodor-Storm-Jugendherberge
an der Schobüller Straße richtete man ein Reserve-Lazarett ein. Das Thomas-Hotel
wurde zum Offiziers-Kasino umgebaut, es ist heute das Hauptgebäude der Klaus-Groth-Schule.
Auf der Neustadt stellte man Viehställe zur Unterbringung von Militärpferden bereit,
und die frisch einberufenen Soldaten wurden eingekleidet und am 9. September 1939
an die Westgrenze des Reiches verlegt.
Rund um den Tinebrunnen vor der
Marienkirche haben Händler ihre Verkaufsstände aufgebaut. ›Frische Erbsensuppe‹,
das Schild mit weißen Buchstaben auf blauem Grund, das an einem der mobilen Imbissfahrzeuge
hängt, setzt bei Maria Teske sofort assoziative Bilder frei, Bilder von Mobilmachung,
verschmutzten Soldaten mit Essgeschirr vor einer Gulaschkanone. Doch die Stehtische
sind leer, kein Mensch weit und breit möchte im Moment etwas essen. Am
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