Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
stoffüberdachten
Stand daneben bietet eine Händlerin Bastkörbe, Basttaschen und große Holzwindmühlen
für den Vorgarten an. Plötzlich weht ein altes Lied von André Heller in ihr Ohr:
»Misstraue der Idylle, denn sie ist ein Mörderstück. Schlägst du dich auf ihre Seite,
schlägt sie dich zurück.«
Maria Teske
hält es nicht mehr aus, zieht ihr Handy aus der Tasche und tippt eine Nummer ein.
»Teske«,
meldet sich eine Stimme.
»Mutter,
ich bin’s, Maria. Kannst du mir erklären, warum in unserer Familie der Name Ludwig
Dullweber eigentlich nie erwähnt wurde? Er muss doch der Bruder von Oma gewesen
sein! Ich komm gerade von der Beerdigung deiner Tante und bin auf das Grab deines
Onkels gestoßen, in dem er mit seinem Kind begraben liegt.«
*
Am rechten Seitenfenster von Oleanders
Wagen huscht eine Bunkerruine mit rostigen Eisenteilen vorbei. Die deutsche Vergangenheit
rottet überall an den Küsten von Dänemark stumm vor sich hin. Auf dem Oddesund tanzt
das Sonnenlicht, als trieben tausende Goldmünzen auf der blauen Wasseroberfläche.
Über den Horizont zieht sich eine flache Hügelsilhouette um die Bucht. Links auf
der separaten Schienenspur rattert ein grüner Nahverkehrszug. Geschwindigkeitsbegrenzung
von 60 km/h. Die grauen Brückenpfeiler blockieren die Sicht auf den idyllischen
Ausblick, und im Rückspiegel ist ein blauer Fiat zu sehen, der seit fast einer halben
Stunde penetrant dicht an seiner Heckklappe klebt.
Wer in Dänemark
auf der Landstraße unterwegs ist, bekommt unweigerlich das Gefühl, ständig von einem
Auto verfolgt zu werden, geht es Oleander durch den Kopf. Er beißt ein kleines Stück
von einer Karamelllakritzstange ab, die er an der letzten Tankstelle gekauft hat,
und kaut darauf wie ein Hund auf einem Hundeknochen. Es besteht natürlich kein Grund
für einen Verfolgungswahn, der Fiat fährt deshalb solange hinter ihm, weil die meisten
Dänen sich exakt an die vorgeschriebene Geschwindigkeit halten und die gleichen
Ziele haben.
Der süße
Karamellgeschmack breitet sich im Mund aus, aber seine Abreise hat einen bitteren
Beigeschmack. Zuvor war es ziemlich turbulent zugegangen. Am frühen Morgen haben
Freja und er noch die Bretter in seinen Wagen gepackt und sind zum Strand in Agger
hinübergefahren, dorthin wo ein schräger, vierkantiger Betonklotz, ein ehemaliger
Funkmessbunker der Deutschen, nah am Wasser steht. Der Surfspot wird unter Insidern
nur ›Pisa‹ genannt. Es gab die Vorhersage für einen primären Swell. Völlig ausgepowert
sind sie danach am späten Vormittag wieder in Frejas Wohnung eingetroffen. Oleander
hat in aller Eile seine Sachen zusammengepackt und verstaute gerade seine Taschen
im Auto, als der blaue GM von Frejas Mutter auf den Hof bog, die Seitenscheibe herunterfuhr
und er nur noch Bahnhof verstand.
»Skrider
han nu? Jeg sagde det til dig Freja. Og jeg ved hvad jeg snakker om.«
(Macht er
sich aus dem Staub? Ich hab’s dir gesagt, Freja. Ich weiß, wovon ich rede!)
»Was willst
du? Verschone mich mit deinen Weisheiten, Mutter!«
»Dein Vater
hat mich noch vor deiner Geburt verlassen. Ich will nur nicht, dass du ins gleiche
Unglück läufst.«
»Ich bin
nicht du!«
»Ich sage
dir, er packt seine Sachen, und du siehst ihn nicht mehr wieder! Die Männer sind
alle gleich, du wirst noch an meine Worte denken!«
»Unsinn,
Mutter! Oleander fährt zum Geburtstag seines Großvaters. Der wird morgen 85 Jahre
alt.«
»Geburtstag?
Und du bist sicher, dass dieser Großvater überhaupt existiert?«
»Ziemlich
sicher! Er lebt in einem sehr schönen alten Herrenhaus in Hoyerswort. Oleander hat
es mir selbst gezeigt, als wir seine Eltern besucht haben.«
»Und warum
nimmt er dich nicht mit?«
»Weil er
nicht gern dort hinfährt und schnell wieder weg möchte!«
»Ausreden!«
»Halte dich
aus meinen Leben raus, du kennst Oleander überhaupt nicht! Nach dem Geburtstag kommt
er sofort zurück, hat er versprochen, und wir werden heiraten.«
»Heiraten!?
Bist du verrückt?«
»Hau ab,
Mutter! Ich will dich nicht mehr sehen! Hau endlich ab, sofort!«
Oleander
hatte kein Wort von alledem verstanden und sah verstört, wie Frejas Mutter mit Vollgas
vom Hof sauste. Seine Freundin warf sich ihm schluchzend in die Arme. Erst als er
Freja langsam beruhigen konnte, war ihm der ganze Streit übersetzt worden.
Gerade jetzt, auf der E 45 in Richtung
Flensburg, klingt das laute Gekeife der beiden Frauen erneut in seinen Ohren. Er
drückt aufs Gas, um
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