Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
die Tür
treten. In der Mitte der großen Eingangshalle erwartet der Großvater im Smoking
die Gratulanten, schüttelt Hände, verteilt Handküsse, nimmt Geschenke entgegen und
reicht sie unverzüglich an elegant gekleidete Bedienstete weiter, die sie wortlos
in Empfang nehmen und auf einem riesigen Dielentisch anordnen. Junge Mädchen in
schwarzen Kleidern und weißen Schürzen tragen Sektgläser auf Silbertabletts. Es
wird dem Jubilar zugeprostet und manchmal tönt ein scharfes »Er lebe hoch, er lebe
hoch, er lebe dreimal hoch« durch den Raum. Oleander hat das Treiben eine Zeitlang
beobachtet, bevor er auf seinen Großvater zugeht.
»Heinrich,
meinen allerherzlichsten Glückwunsch«, sagt er breit lächelnd, reicht die Blumen
und das Päckchen dem Personal und drückt seinem Großvater kräftig die Hand. »Du
siehst wirklich nicht aus, als wärst du 85 Jahre alt geworden.«
»Lass das,
Junge, einem alten Mann braucht man nicht mehr zu schmeicheln.«
»Ich sage
nur, was mir ins Auge fällt.«
»Du siehst
auch blendend aus, Junge. Ich freue mich, dass du bei aller Weltenbummelei gekommen
bist. Du siehst auch, was hier los ist! Entschuldige bitte, aber wir reden später,
wenn alle Gäste begrüßt sind. Mutter und Vater findest du oben im Festsaal!«
Die Vorstellung,
hier den Sohn abgeben zu müssen, lässt Oleander verlegen grinsen. Er klopft seinem
Großvater kurz auf die Schulter und steigt die breiten Steinstufen des Treppenturms
hinauf in den ersten Stock. Der riesige Renaissancesaal erstrahlt in einem Flammenmeer
von Kerzen. An einer Wand entlang sind Eichentische aufgestellt, auf den goldgeränderten
Platten finden sich Fasanenfilet, Spanferkelrücken, Tafelspitz, Kapaun und andere
Köstlichkeiten. Neben dem Kamin musizieren eine Flötistin und eine Geigerin, begleitet
von einem jungen Mann am Klavier, Stücke von Joseph Haydn. Der Raum brodelt im Rausch
der Gespräche. Menschen tragen ihre Teller am Buffet entlang und picken mit der
Gabel erlesene Fleischstückchen heraus. Andere stehen mit gefüllten Sekt-, Wein-
oder Biergläsern trinkend in den Ecken zusammen. Oleander hat seine Eltern sofort
in einer Traube fröhlich Trinkender ausgemacht, seine Mutter im Abendkleid aus glänzendem
Satin, sein Vater in Marineausgehuniform. Sein erster Eindruck genügt, um sich in
den Flur abzusetzen. Dort tritt er völlig unerwartet in den Bannkreis von Kilian
Martens, der ihm wie ein sommersprossiger Mephistopheles ins Gesicht lacht. Doch
das Lachen verschwindet genauso schnell wieder von seinen Lippen, es bleibt ein
gefühlsloser Blick, der ihn aus zwei Seelen fixiert.
»Ich war
in deinem Kiteshop, Ole, aber du hast nicht angerufen.«
»Das war
auch nicht nötig«, entgegnet Oleander überheblich. »Du findest mich auch ohne meine
Hilfe. Was machst du hier, wieso bist du auf diesem Fest?«
»Deine Mutter
hat mich eingeladen, ich hab sie zufällig in Uelvesbüll getroffen.«
»Bei dir
gibt es keinen Zufall, Kilian!«
»Was ist
mit dir? Ich war nie nachtragend, wegen damals! Du warst derjenige, der alles geschmissen
hat, Ole, nicht ich. Du hast weiterhin kostenlos bei mir gewohnt, solange du wolltest.
Was gibt es also für ein Problem zwischen uns?«
»Du willst
zum Surfen nach Dänemark, hab ich gehört?«
»Was hat
das mit unserem Problem zu tun?«
»Du willst
nicht zufällig nach Klitmøller?«
»Wieso nicht?«
»Freja weiß,
dass du kommst?«
»Sag endlich,
was du sagen willst!«
»Freja bekommt
ein Kind von mir, und wir werden heiraten. Es wird langsam Zeit, dass du die Finger
von ihr lässt.«
»Ihr wollt
heiraten?«
»Wir wollen
nicht, wir heiraten, Kilian! Verstehst du, wir heiraten! Freja ist tabu!«
»Wir sind
freie Menschen, Oleander. Freja entscheidet selbst, was sie macht.«
»Wir sind
keine Steppenwölfe mehr, Kilian! Auch du solltest langsam erwachsen werden!«
»Dann verhalte
du dich auch wie ein Erwachsener.«
»Finger
weg von Freja, Kilian, ich sag es nicht noch einmal!«
Kilian schließt
die Augen zu Schlitzen, sie blitzen kurz auf. Sofort lacht er wieder, verbeugt sich
theatralisch wie ein Burgschauspieler, macht einen Ausfallschritt zurück und verschwindet
ohne ein Wort im Festsaal. Oleander eilt hinterher, kann ihn aber in der Menschenmenge
nicht mehr entdecken. Das helle Klingen eines Glases lässt die Musik verstummen.
Oleander wendet den Kopf, sieht, wie sein Großvater neben den Musikern steht und
mehrmals mit dem Messer gegen ein leeres Sektglas schlägt. Das letzte
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