Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
aber nicht, Jan. Auf einem Foto ist deutlich zu sehen, dass das Schloss nicht
abgeschlossen war.«
»Du vermutest
doch was, Peter, oder?«
»Nun ja,
ich könnte mir vorstellen, dass die Tür normal mit einem Schlüssel geöffnet und
erst danach aufgebrochen wurde. Wahrscheinlich nachdem sie jemand ins Schloss gezogen
hat. Hinzu kommt, dass heutzutage Einbrecher kaum noch Türen wirklich aufbrechen,
die meisten kommen mit irgendwelchen Nachschlüsseln. Vielleicht wollte jemand, dass
es nach Einbruch aussieht.«
»Du meinst,
ein vorgetäuschter Einbruch?«
»Könnte
sein, Jan.«
»Versicherungsbetrug?«
»Solltet
ihr nachprüfen, die Kunst war immerhin ziemlich wertvoll.«
»Danke,
Peter, ich kümmere mich drum.«
»Okay, Jan,
bis die Tage!«, beendet Hollmann das Gespräch und legt das Handy auf den Beifahrersitz
zurück. Wenig später kreuzt sein silbergrauer Smart im Schritttempo die unbeschrankte
Bahnstrecke der Nord-Ostsee-Bahn. Der kleine Wagen kutschiert langsam durch die
flache Marschlandschaft in Richtung St. Peter-Böhl. An der Pension Seerose biegt
Hollmann auf die Hauptstraße. Vier Minuten später erreicht er St. Peter, fährt über
den Außendeich bei Böhl und den schmalen Teerweg durch die Salzwiesen bis zum Autostrand.
Eine Unzahl von Fahrzeugen parkt hier bereits am Rande des Watts. Der Kriminalist
registriert erleichtert, dass die meisten Sonntagsausflügler nicht zur Wassergrenze
hinausmarschieren, sondern auf dem Weg zu den Pfahlbauten-Restaurants unterwegs
sind oder gerade von ihrer Kaffeetrinktour von dort zurückkommen. Es weht ein seichter
Wind vom Meer. Niedrigwasser. Ein Blick auf die Armbanduhr, es ist knapp 17.00 Uhr.
Hollmann zieht seine Schuhe aus, legt sie hinter den Sitz, greift die Fotokamera
und stapft barfuß über die Schlickrippel am Rand der Salzwiesen entlang, die hier
fast nahtlos ins Watt hineinragen. Hier wächst der Queller, eine verzweigte, grünliche
Pflanze mit fleischig, kahlen Trieben. Der Blick des Hauptkommissars haftet aufmerksam
am Boden, sucht nach den ungewöhnlichen Motiven, die von dem zurückgewichenen Wasser
für nur wenige Stunden freigegeben werden.
Mischwatt
ist Wattwurmwatt, hat Hollmann in einem Buch gelesen. Man erkennt es an den fadenähnlichen
Schlickhäufchen, die überall aus dem Boden ragen. In einigen Vertiefungen steht
das Wasser noch knöcheltief. An den ausgewaschenen Rändern haben sich rotbraune
Beläge abgesetzt. Hollmann geht in die Knie, nimmt seine Nikon ans Auge und wählt
einen Ausschnitt, indem er den Oberkörper neigt. In dem Buch stand auch, dass die
braunen, teilweise rötlichen Färbungen, die diese wunderschönen Strukturen unter
der Wasseroberfläche bilden, ein Rasen aus Kieselalgen sind. Diese winzigen, einzelligen
Organismen gewinnen Energie aus dem Sonnenlicht, das bekannte System der Photosynthese.
Der rechte
Zeigefinger drückt leicht an den Auslöser. Die Schärfenautomatik zieht mit einem
feinen Geräusch nach. Voller Druck, Klick, das Foto ist im Kasten. Hollmann sieht
es auf dem Display der Kamera an und ist damit zufrieden.
Auch Kieselalgen
können einen Täter überführen, weiß der Kriminalist, denn fände man nur eine dieser
einzigartigen Algen unter seinen Schuhen, könnte man ihm beweisen, dass er an einem
bestimmten Ort gewesen ist. Das Fotografieren einer Algenstruktur im Sand sieht
er dagegen als eine Art persönlicher Spurensicherung.
Er erinnert
sich noch genau daran, wie das Fotografieren im Watt zu seiner Leidenschaft geworden
ist. Ihm war plötzlich bewusst geworden, dass die Strömungsrippel im Schlick eine
verblüffende Ähnlichkeit mit einem Fingerabdruck haben. Die Gezeiten formen Schleifen,
Bögen und Windungen, die genauso einmalig sind, wie die Papillarleisten am Endglied
eines Fingers.
Damals hatte
er bereits ein halbes Berufsleben hinter sich, erst lange Jahre mit Schwerpunkt
Einbruch, später dann Organisierte Kriminalität, bis 1993 in Hamburg eine zentrale
Spurensicherungsdienststelle eingerichtet wurde. Sechs Monate hatte die interne
Ausbildung zum Kriminaltechniker gedauert. Am Anfang musste Hollmann einen Eignungstest
hinlegen, ob er in der Läge wäre, einen Sachverhalt analytisch zu durchdringen.
Er bestand ihn mit Bravour. ›Learning by doing‹ hieß die Devise seines Ausbilders,
die er auch zu seiner Devise gemacht hat. In den Anfängen wurde seine Abteilung
salopp nur die ›Spusi‹ genannt, und Hollmann hatte damals ein besonderes Händchen
für die Sicherung von
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