Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
Gemurmel im
Raum ebbt ab.
»Verehrte
Gäste, meine Damen und Herren!«, beginnt der Großvater mit lauter Stimme, »Sie können
mir glauben, ein alter Haudegen wie ich ist selten gerührt! Aber heute bin ich es!
Ich möchte mich bei Ihnen allen recht herzlich bedanken und freue mich, dass Sie
so zahlreich zu meinem Ehrentag erschienen sind. Doch bevor der festliche Teil des
Abends beginnt, nur einige, wenige Worte über diesen historischen Ort. Das Schloss
Hoyerswort ist ein Wahrzeichen der Halbinsel Eiderstedt. Es wurde im 16. Jahrhundert
von dem herzöglichen Verwalter Eiderstedts, dem Staller Caspar Hoyer erbaut. Als
deutscher Wehrmachts- und Bundeswehroffizier bin ich besonders stolz darauf, dass
faktisch auf meinem Besitz der große Nordische Krieg in Schleswig-Holstein beendet
wurde. Um 1700 hatten dänische, russische und sächsische Truppen Tönning belagert.
1713 musste der General der schwedischen Truppen, Graf Steenbock, letztendlich aufgeben
und unterschrieb auf Hoyerswort die Kapitulation.«
Selige,
unausgegorene Soldatenromantik, immer dasselbe in dieser Familie, gärt es in Oleander.
Es bleibt ihm unbegreiflich, warum er als Halbwüchsiger seinen Großvater so kritiklos
angehimmelt hat. Er muss unwillkürlich an das alte Foto denken, eine NSDAP-Kundgebung
ist darauf zu sehen, auf der ›Alte Freiheit‹ in Husum vor der Vereinsturnhalle.
Der Großvater als junger Kerl stolz wie Bolle mit der Hakenkreuzfahne, neben ihm
der Redner Prinz August Wilhelm von Preußen, der vierte Sohn Kaiser Wilhelms. Über
seinem Kopf ein Banner mit der Aufschrift: Freiheit und Brot.
»Das war
ein schneidiger Mann, der junge Preuße«, hatte sein Großvater geschwärmt, als er
ihm das Foto zeigte. »Sein Auftritt brachte der NSDAP bei der Reichstagswahl 1932
in Husum 50% der Stimmen.«
Das Foto
rührte an Oleanders Sehnsucht nach Gemeinschaft. Das Hakenkreuz im Strahlenkranz
auf dem Turnhallendach, das Spalier der Flaggenträger und die vielen Menschen, 6.000,
nach Aussage seines Großvaters.
Aus heutiger
Sicht kann er nicht glauben, wie Deutschland sich damals freiwillig ans Messer geliefert
hat. Erst Jahre später war Oleander die merkwürdige Rolle seines Großvaters in dieser
Zeit aufgegangen, die gepaart war mit seiner fortwährenden Uneinsichtigkeit, diesen
teuflischen Krieg von Adolf Hitler als einen Fehler einzugestehen.
Trotzdem
liebte er seinen Enkel abgöttisch. Oleander bekam von ihm, was er wollte. Seine
Verachtung hat Oleander ihn nie spüren lassen, hat die so glorreich erzählte Vergangenheit,
das selbstverständliche Soldatsein in seiner Familie bis heute nicht thematisiert.
»›Und wenn der Teufel mich selbst
zum Tanze auffordert, so schlüg’ ich es ihm nicht ab.‹ Das sind die Worte, die einst
eine flinke Tänzerin auf einer großen Hochzeit sagte, die hier auf dem Hoyersworter
Schloss stattfand.«
Die Rede
des Großvaters schlägt volkstümliche Töne an. Oleander weiß bereits, was ihn jetzt
erwartet, die pflichtgemäße Geschichte von dem Teufel auf Hoyerswort, die noch auf
keinem Festakt ausgelassen wurde.
Warum hat
er eigentlich sein Leben während der Nazizeit nie in einem Zusammenhang mit dieser
Eiderstedter Sage gesehen? Auch er hat mit dem Teufel getanzt! Adolf Hitler!
»In diesem Saal gibt es einen Blutfleck.
Er zeugt von der schicksalhaften Begegnung der Tänzerin mit dem Teufel. Der rötliche
Fleck wurde schon oft mit weißer Farbe überstrichen, aber er kam immer wieder zum
Vorschein. Auch wenn viele Zweifler meinen, dieser Fleck wäre nur eine profane Salpeterausblühung.
Alle anwesenden Damen sind, bevor zum Tanz aufgespielt wird, hiermit gewarnt!«
Der Großvater
setzt an dieser Stelle eine gezielte Pause für das allgemeine Kichern, das auch
erwartungsgemäß einsetzt und bittet dann mit beiden Händen um Ruhe.
»Deshalb
möchte ich Ihnen jetzt die Landesvorsitzende des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes,
Frau Elisabeth Meinert, vorstellen, die uns die unheimliche Schauergeschichte mit
den Worten unseres großen deutschen Dramatikers und Lyrikers Christian Friedrich
Hebbel vorträgt. Frau Meinert hat das Wort!«
Der Großvater
macht eine einladende Geste in Richtung einer zierlichen Frau mit auffälliger Rüschenbluse,
deren spitzes Gesicht und die glatt zurückgekämmten Haare an einen Singvogel im
Käfig denken lassen. Während sich Frau Meinert in der Mitte des Saales in Positur
stellt und eine kurze Verbeugung andeutet, setzt pflichtgemäßer Applaus ein.
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