Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
Levi
in der Westerhafenstraße schlitzt der Husumer Heinrich Möller mit dem Taschenmesser
ein Bett auf, bis die Federn durch den Raum wirbeln. Danach schlägt er mit einem
Stuhl vier Fensterscheiben ein.
Das taktfeste Stiefelstapfen der
SA-Männer schreckt Maria Teske aus den Gedanken. Der eingelegte Film ist durchgelaufen,
keine Stiefel, nur das rhythmische Flattergeräusch des Filmendes.
»Welches
Datum möchten Sie als Nächstes?«, fragt die Mitarbeiterin des Archivs, nimmt die
Spule aus dem Gerät, zieht eine Schublade auf und legt sie in einen der kleinen
Kartons.
»Die Ausgaben
vom November 1938, bitte!«
Wenig später
wischen die negativen Zeitungsseiten im Schnelllauf über den Bildschirm. Mit einigen
Stopps hat die Journalistin die Ausgabe vom 12. November gefunden. Doch es gibt
nicht den kleinsten Artikel zur Reichskristallnacht aus der Region, nur übergeordnete
Beiträge aus Berlin, in denen darüber berichtet wird, dass in zahlreichen Städten
und Orten des Reiches Vergeltungsaktionen gegen jüdische Gebäude und Geschäfte vorgenommen
wurden. Eine Schlagzeile am unteren Rand springt der Journalistin ins Auge: Dänische
Krokodilstränen für die Juden.
Die Tatsache, dass das deutsche Volk
in begreiflicher Erregung nach dem Mord des Juden Grünspan an dem deutschen Diplomaten
von Rath in Paris seine Empörung in einigen Demonstrationen zum Ausdruck brachte,
bei denen einige Fensterscheiben zersprangen und einige Synagogen in Brand gerieten,
gibt einer gewissen Auslandspresse Veranlassung, ihren Lesern von einem »Bürgerkrieg«
in Deutschland zu berichten. Auch ein Teil der dänischen Presse macht davon keine
Ausnahme und vergießt bittere Krokodilstränen über das Geschick der »armen Juden«.
Begreifliche Erregung. Die Worte
rücken Maria Teske auf den Leib. Der Vater meiner Mutter war doch Däne, grübelt
sie. Wieso hat der denn eigentlich in Deutschland gearbeitet, wenn die Nazis solch
eine Meinung von Dänemark hatten? Und war es nicht meine Großtante, die damals den
Namen Monte Matajur erwähnt hat? Genau, Monte Matajur und ihr Vater, der hat am
Monte Matajur zusammen mit Rommel gekämpft.
Die Journalistin
starrt nachdenklich auf die weißen Buchstaben auf dem Bildschirm.
Und dieser
Kreuzhausen senior hat auch mit Rommel gekämpft. Ein ziemlich großer Zufall. Es
sei denn … ja, der Vater von meiner Großtante ist dieser Kreuzhausen. Mit einem
Schlag ist die Journalistin hellwach. Sie schaut auf die Uhr, 13.27 Uhr, übergibt
der Mitarbeiterin des Archivs einen Zettel mit den Nummern der Zeitungsausgaben,
die sie gerne kopiert haben möchte, und verlässt das Gebäude mit den Worten: »Ich
muss leider los, Frau Keller, ich hol die Kopien nächsten Dienstag ab und bezahl
dann.«
Wenige Minuten
später eilt die Journalistin durch den Schlossgang in Richtung Marktplatz. Der mögliche
Zusammenhang zwischen dem Mordfall und ihrer Familiengeschichte geht ihr unentwegt
durch den Kopf. Nach der Wohnungsauflösung ihrer Großtante Hertha Dullweber hatte
sie von dort etliche Kartons mit Bildern und Ordner mit Unterlagen und Papieren
mitgenommen und in ihrer Wohnung gelagert. Sie war aber bisher nicht dazu gekommen,
den Inhalt gründlich in Augenschein zu nehmen.
Bei ihrer
Ankunft vor dem Rathaus haben sich erst wenige Kollegen dort eingefunden. Dafür
warten Menschen vor der Saaltür, die ihr noch auf keiner Pressekonferenz der Polizei
begegnet sind, darunter mehrere Uniformträger der Bundeswehr, anscheinend von hohem
Rang. Es ist mucksmäuschenstill, die Personen beäugen sich gegenseitig argwöhnisch,
und Maria Teske setzt sich, nachdem der Saal geöffnet wird, an den äußeren Rand
der hinteren Stuhlreihen. Am Kopfende des Raums erkennt sie die altbekannten Gesichter
auf dem Podium, Jean-Claude Colditz, der SOKO-Chef, Staatsanwalt Dr. Rebinger und
Hauptkommissar Jan Swensen. Der stämmige Staatsanwalt, mit dem die Journalistin
latent auf Kriegsfuß steht, hat zugelegt und erneut ein leichtes Doppelkinn angesetzt.
Er greift zum Mikrofon.
»In der
heutigen Nacht hat es in unserer Region einen ungewöhnlichen Mordfall gegeben. Das
Opfer ist ein gewisser Oleander Eschenberg, 28 Jahre alt. Der Mann führte ein Sportgeschäft
in Flensburg. Er verließ die Geburtstagsfeier seines Großvaters Heinrich Kreuzhausen
auf dem Herrenhaus Hoyerswort und traf auf der Straße vor dem Grundstück auf seinen
Mörder. Die Tatzeit war kurz nach zwei Uhr in der Nacht. Bei der Tatwaffe handelt
es sich
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