Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
darunter liegt, und schaut ins Innere. Ohne
es zu bemerken, ist sie auf das Relief einer jungen Frau getreten, die in alter
Trachtenkleidung die Hände vor dem Bauch faltet. Die Füße von Silvia Haman stehen
genau auf ihrer Brust. Die Steininschrift ist schon ziemlich verwittert. Swensen
versucht sie zu lesen, kann etwas wie »Anno 1614, den 25 December is de tugentsame
Junckfrawe Margareta Hans selich im Hern entslapen eres Olders im 18 Jahr der Sele
Got Gnedich si« entziffern.
Muss uralt
sein. Vermutlich eine Grabplatte, denkt er und fixiert das rundliche Steingesicht
des Mädchens. Warum liegt das Ding hier so achtlos herum?
»Hallo!
Ist da jemand!?«, ruft Silvia Haman durchs Fenster.
Fast im
selben Moment schwingt die riesige Flügelstalltür auf und eine Frau in schmutzigem
Blaumann und Gummistiefeln tritt ins Freie, die Haare unter eine Schirmmütze gezwängt.
Ihre rechte Hand umklammert den Stiel einer Mistforke. Swensen muss zweimal hinschauen,
bevor er Gerda Eschenberg erkennt. Die Frau wischt die Schweißperlen von der Stirn
und steht mit hochrotem Kopf wie erstarrt vor ihnen. Eine peinliche Stille kommt
auf, in der beide Seiten verharren.
Das gewaltige
Gefühl von Raum geht mir gerade abhanden, denkt Swensen und sucht krampfhaft nach
Worten.
»Ich muss
meine Pferde versorgen«, platzt es plötzlich aus der Frau heraus. »Trauern kann
ich in der Nacht genug.«
»Haben Sie
keine Hilfe?«, fragt Silvia Haman leise.
»Mein Mann
ist Soldat. Und ich … ich wollte heute keinen Menschen um mich haben. Hab die Stallburschen
heute Morgen nach Haus geschickt.«
»Sollen
wir ein anderes Mal wiederkommen?«, fragt Swensen betroffen.
»Nein! Ich
komme zurecht«, sagt die Frau unwirsch und die peinliche Stille kehrt zurück.
Das meinte
Meister Rinpoche mit Anhaftung, fällt es Swensen wie Schuppen von den Augen. Ich
hafte an, weil ich das Schweigen nicht aushalten kann. Beginne einfach mit dem,
was gerade ansteht.
»Wer könnte
das Ihrem Sohn angetan haben?«, fragt Swensen gelassener.
Die Frau
zuckt mit den Schultern, zupft nervös mit den Fingern an den Trägern des Blaumanns
und schaut zum Himmel hinauf, als ob von dort eine Antwort kommen könnte.
»Das haben
Sie mich bereits im Krankenhaus gefragt«, sagt sie und schaut Silvia an. »Ich kann
Ihnen nichts dazu sagen, ich weiß es nicht. Ich hatte nur noch wenig Kontakt mit
meinem Sohn. Ich weiß nicht einmal genau, was er eigentlich wirklich gemacht hat.«
»Mir ist
bewusst, dass diese Fragen nicht leicht für Sie sind, Frau Eschenberg«, sagt Silvia
Haman, »aber wir müssen die letzten Stunden Ihres Sohnes rekonstruieren. Sie haben
mir erzählt, dass er vor der Tat auf der Feier Ihres Vaters war. Ist Ihnen da etwas
an seinem Verhalten aufgefallen? War er nervös, ängstlich, oder haben Sie nicht
mit ihm gesprochen?«
»Doch, aber
nur ein paar Sätze. Er war wie immer kurz angebunden.«
»Jede Kleinigkeit
kann uns weiterhelfen, auch wenn sie noch so unwichtig erscheint«, hakt Swensen
nach. »Worüber haben Sie miteinander gesprochen?«
»Er war
sehr ungehalten, dass ich seinen Freund auf die Feier eingeladen habe. Ich hatte
es nur gut gemeint.«
»Er wollte
nicht, dass Sie seinen Freund eingeladen haben? Das verstehe ich nicht.«
»Ich verstehe
es auch nicht. Ich habe meinen Sohn aber noch nie wirklich verstanden. Er ist schon
mit 17 Jahren von Zuhause ausgerissen. Seitdem treibt er sich in der Weltgeschichte
herum, zusammen mit diesem Freund. Selbst als er wieder in Deutschland war, ist
seine Ablehnung gegenüber meinem Mann und mir geblieben. Er kam immer nur sporadisch
hier vorbei, immer unangemeldet, blieb höchstens für ein paar Stunden. Vor zwei
Jahren hat er sein Vagabundenleben anscheinend beendet, er lebte in Flensburg, wo
er einen Surfladen haben soll. Wenn ich ganz ehrlich bin, sind wir uns einfach nur
fremd.«
»Wie ist
der Name des Freundes, von dem Sie gesprochen haben, Frau Eschenberg?«
»Martens,
Kilian Martens.«
»Können
Sie uns auch sagen, wo wir ihn finden?«
»Nein, der
lebt normalerweise im Ausland, soweit ich weiß, auf irgendeiner Südseeinsel von
Hawaii. Vielleicht treffen Sie ihn heute in seinem Elternhaus an, dem alten Smeerkrog.«
»Smeerkrog?
Noch nie gehört. Wie kommen wir dort hin?«
»Der ist
ganz in der der Nähe. Sie kommen über den Moordeich hin.«
»Die laufenden
Ermittlungen haben ergeben, dass Ihr Sohn allem Anschein nach mit einer Druckluft-
oder Gasdruckharpune getötet wurde. Können Sie
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